Orientalische Fabulierkunst

Wer kennt nicht Adam und Eva, Kain und Abel, Abaraham und Mose, und all die anderen Protagonisten aus den Heiligen Büchern der drei Abrahamitischen Religionen? Der Orient gilt als Wiege der monotheistischen Weltreligionen und der Erzählkunst, obwohl die Epen griechischer Mythologie älter datiert werden. Fesselnde Lektüre kommt auch von aktuellen Literaten aus dem Morgenland.

Ein Grund für die weit entwickelte Fabulierkunst in der arabischen Region könnte das Bilderverbot des Islam sein: Der Islam verbietet die Abbildung von Menschen, die er als Akt der Schöpfung betrachtet und schöpferische Tätigkeit stehe nur Gott alleine zu. Die Darstellung von Menschen auf Gemälden oder Fotos käme damit der Blasphemie gleich. Verschiedene islamische Kulturkreise gehen unterschiedlich streng mit diesem Verbot um, doch sicherlich wurde damit das ‚verbale Abbilden‘ in Form reichlich ausgeschmückter Erzählungen gefördert.

Genial das Konzept der fast 2000 Jahre alten Sammlung von Märchen, Legenden und Abenteuergeschichten ‚1001 Nacht‘: Scheherazade

verzögert immer wieder ihre Hinrichtung, indem sie König Schahriyâr Geschichten erzählen, jedoch am Höhepunkt der Spannung unterbricht, mit dem Versprechen anderntags fortzusetzen. Ihre vielfältigen Geschichten, von denen die ältesten ihren Ursprung in Indien haben dürften, haben in unsere Kinderzimmer ebenso Einzug gehalten, wie in Erotik-getränkte Schlafzimmer.

Poetische Philosophie oder philosophische Poetik

Freunde poetischer Texte werden bei Kalil Gibran fündig. 1883 als 'Gibrān Khalīl Gibrān bin Mikhā'īl bin Sa'ad' im Libanon geboren, das damals Teil des osmanischen Reichs war, emigrierte er 1895 mit seiner Mutter in die USA, wo er in Boston lebte. Im Lauf seines Lebens wechselte Gibran seinen Wohnort zwischen dem Libanon, Europa und den USA.

Mit einer Doppelbegabung begnadet, war er Maler und Autor zugleich. Owohl viele seiner Werke ins Deutsche übersetzt wurden, ist er bei uns vorwiegend eine Sammlung von Lebensweisheiten bekannt, die 1923 erschien und nur zwei Jahre später in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Der Prophet" herausgegeben wurde.

Vermittler zwischen christlich geprägten Philosophen und islamisch-sufistischen Spiritualität der arabischen Welt wollte Gibran sein.

Selbst Mitglied der syrisch-maronitischen Glaubesngemeinschaft, konnte er sich mit dem Christentum nicht vollends anfreunden: "Aber der junge Nazaräer war kein Gott: und es ist schade, dass seine Jünger versuchen, aus einem Weisen einen Gott zu machen." In seinen zahlreichen Gedichten, Aussprüchen und Aphorismen wirbt er für Toleranz, Liebe und Gelassenheit. Noch nach seinem Tod 1931 wurden seine poetisch-philosophischen Texte vertont und sind heute in Auszügen häufig zitiert. Speziell "Der Prophet" ist in zahlreichen Druckausgaben - als Taschenbuch, boschiert oder als Kunstdruckbuch verfügbar, sowie als E-Book und als Audiobuch auf CD oder als MP3-File für den Download.

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Von der Ehe
Khalil Gibran 1923/1925
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Umstrittene Verse

Umstrittene Prominenz anderer Art erlangte zeitgenössische Prosa aus dem Orient: Mit ‚Satanische Verse‘ verletzte der britisch-indische Schriftstellers Salman Rushdie die religiösen Gefühle von Muslime, was zu Todesdrohungen gegen ihn führte. Keine Kunst gibt das Recht, die heiligen Gefühle anderer zu missachten - kein Kunstwerk oder Schriftstück gibt das Recht, Menschen zu töten oder dazu aufzurufen. Im Exil ließ Rushdie mit ‚Harun und das Meer der Geschichten‘ orientalische Erzählkunst aufleben (nicht als Hörbuch verfügbar).

Damaszener Freund

© steinbachs sprechende bücher
© steinbachs sprechende bücher

Ganz anders Suheil Fadél, bekannt unter dem Synonym Rafik Schami. „Ich liebe die Wüste, sie ist ein Stück meiner Kindheit“, sinniert das Kamel in einer seiner Erzählungen. Der promovierte Chemiker entstammt der christlich-aramäischen Minderheit in Damaskus, einer „arabisch-muslemische geprägten Kultur“, wie er erklärt. Pendelnd zwischen Märchen und biographischen Erinnerungen, Kinderbuch, kulinarischem Reiseführer und Roman hat er ‚Damaskus im Herzen und Deutschland im Blick‘ und lässt es dabei nicht an Satire mangeln: „In Damaskus fehlt den Nachbarn immer etwas: mal ein bisschen Zucker und manchmal etwas Reis - und immer ein bisschen mehr. Deshalb besuchen sie einander. Hier fehlt den Leuten nichts… arme Leute!“

 

Fadél floh 1970 nicht, wie viele seiner Landsleute heute, vor Krieg und religiöser Verfolgung, sondern vor der Zensur - in den Libanon und später nach Deutschland. Von der Zensur erzählt auch sein Jugendroman „Eine Hand voller Sterne“, von dem allein 2012 in Wien im Rahmen der Aktion ‚Eine STADT. Ein BUCH‘ 100.000 Stück ausgegeben wurden. Der leidenschaftliche Hobby-Koch und Genießer guter Küche ist Mitbegründer der entwicklungspolitisch engagierten Gruppe ‚Südwind‘ und des Vereins ‚Schams‘ (Sonne) zur Unterstützung von Kindern in Syrien.

Bedeutenden Anteil am Werk des 70-jährigen Autors haben Märchen und Legenden, die er in Erzählkreisen publiziert und gerne auch bei Lesungen zum Besten gibt. Dabei hält er sich, getreu orientalischer Tradition, ebenso bedingt an Druckvorlagen, wie bei jenen Hörbüchern, bei denen er selbst als Sprecher agiert. Die Zusammenstellungen auch gleichnamiger Audiobücher entsprechen nicht immer den Druckausgaben, die Texte zum Mitlesen müssen aus unterschiedlichen Büchern zusammengestellt werden. Der charmante Akzent des Autors verleiht den Hörbüchern zusätzlichen Charme und schenkt das Gefühl, den arabischen Kulturkreis hautnah erleben zu dürfen. Von fortgeschrittenen CI-Nutzern können diese Hürden beim Hörtraining gut genommen werden, für Einsteiger empfiehlt sich zum Beispiel „Der erste Ritt durchs Nadelöhr“ mit Markus Hoffmann als Sprecher und der gleichnamigen Druckvorlage. Auch Hoffmanns teilweise rasches Stakkato ist anfangs schwierig zu verstehen, aber der verlangsamte Abspielmodus kann hier helfen.

Pere Noel und die Heilige Thekla

„In Damaskus nennt man den Weihnachtsmann Pere Noel“, erzählen die Flüchtlinge in der Notunterkunft. Aus der Feder Schamis stammen zwei Weihnachtsgeschichten, aber auch eine eigene Version der Heiligenlegende über die frühchristliche Thekla.

 

Thekla wurde um 40 nach Christus in Konya, der heutigen Türkei, geboren. Überzeugt vom eben bekehrten Apostel Paulus, beschloss sie als Jungfrau ganz für das Evangelium der Christen zu leben – womit sie sich ihren Eltern und den geltenden Gesellschaftsnormen widersetzte. In Malula, wo später Fadéls Großeltern lebten, soll sie der örtlichen Legende zufolge Zuflucht gefunden haben. Malula, auch Maalula, wurde zu einem typischen Wallfahrtsort in Syrien, für Christen und sunnitische Moslems, der aber mittlerweile von der Terrorgruppe IS völlig zerstört wurde.

Im Zug der Legende verlässt Schami den sonst typischen Märchenstil. Wer sich auf diese Mischung aus Legende und Geschichtsunterricht einlässt, kann dabei ein wenig mehr über gemeinsame Wurzeln erfahren.

Der erste Ritt durchs Nadelöhr

„Ich wollte, dass die Menschen in dieser Stadt verstehen, dass Du hier zuhause bist. Dass du zwar anders, aber ihnen doch näher als den Kindern von Damaskus bist. Was wurde daraus? Zigaretten (Anm.: Camel) und Bauchtanzlokale!“, macht der Exil-Syrer sich in ‚Der erste Ritt durchs Nadelöhr‘ über mitteleuropäisches Multi-Kulti lustig, gewürzt mit einer Träne des Bedauerns.

 

Lange vor Beginn des IS-Terrors hat Schami seine Version der Thekla-Legende verfasst; ebenso wie die Geschichte vom Kamel, das dem arabischen Jungen im deutschen Heidelberg helfen will, seinen Platz zu finden. Er erzählt vom ‚Geschmack Damaskus‘ als einem Schmelztigel der Kulturen und Stadt gegenseitiger Akzeptanz und Respekts. Heute vermitteln uns diese und andere seiner Worte Verständnis für das Erleben unserer unfreiwilligen Gäste von dort.

 

Mit den Worten des Autors gesagt: „Damaskus blickt auf eine über 8000 jährige Kultur zurück. Sie schenkt ihren Bewohnern eine Fähigkeit, die andernorts kaum ausgeprägter vorkommen kann: Nach Katastrophen aufstehen und von vorn anfangen!“, und: „Wenn du einen guten Freund hast, sind Dinge möglich, von denen du vorher nur geträumt hast.“

Autor: Eva Kohl, © Gehört.Gelesen 2016

Mit freundlicher Genehmigung des CIA und der Redaktion der Gehört.Gelesen


Hörbücher von Rafik Schami im Verlag ‚Steinbach Sprechende Bücher‘

Märchen aus Malula, gelesen von Andrea Hörnke-Trieß, Markus Hoffmann und Rafik Schami, CD ISBN: 978-3-86974-067-6, MP3-Download ISBN: 9783-86974-828-3 

entnommen dem gleichnamigen: Taschenbuch DTV ISBN: 978-3-423-11219-2, Großdruck DTV ISBN: 978-3-423-25372-7; E-Book Hanser-Verlag ISBN ISBN: 978-3-446-23900-5

Der erste Ritt durchs Nadelöhr, gelesen von Markus Hoffmann, CD ISBN 978-3-89674-189-5, MP3-Download ISBN: 978-3-86974-948-8

entnommen dem gleichnamige: Taschenbuch DTV ISBN: 978-3-423-10896-6

Zwei Weihnachtsgeschichten (Durckausgabe nicht verfügbar!), gelesen von Moritz Stöpelm CD ISBN: 978-3-86974-030-0

und viele mehr...!