Wenn der Postmann zweimal klingelt

Wenn Ihr Postbote dieser Tage mit einem Einschreiben an der Schwelle ihrer Tür steht, steht er gleichzeitig an der Schwelle zu einer neuen Ära der Briefbeförderung. Doch „the postman always rings twice“ – es gibt immer eine zweite Chance.

Es ist zwanzig vor fünf. Dort, wo in wenigen Stunden der allmorgendliche Verkehrsstau die Kreuzung blockieren wird, hört man jetzt das fröhliche Gezwitscher der Spatzen. Die Morgenluft ist noch recht kühl. Ein schlanker Mittfünfziger schwingt sich von einem vielleicht ebenso alten Fahrrad. Knapp fünf Minuten später begleite ich Herrn Christian in der ersten U-Bahn-Garnitur des Tages in Richtung Innenstadt.

Eigentlich beginnt die Dienstzeit in der Postverteilzentrale Schwedenplatz pünktlich um 6h, aber Herr Christian und seine Kollegen kommen schon etwas früher mit der jeweils ersten U- oder S-Bahn zur Dienststelle, damit sie rechtzeitig vor Ort sind, wenn der erste LKW mit den Postsendungen zum Ausladen in die Garage rollt. Bis 9h sollen alle Briefstücke abgeladen und in der richtigen Reihenfolge für das Verteilen verpackt sein, denn dann fährt ein anderer LKW aus, der einen Teil der Post zum Stützpunkt, einem Zwischenlager auf der tägliche Route des Briefträgers, bringt.

Um diese Zeit gleicht die Verteilbasis einem Ameisenhaufen. Emsig werken die Postler am sogenannten Tisch, einer Sortiereinheit, in welche die Briefe eingeworfen werden. Zwei oder drei unterschiedliche Anschriften für ein und denselben Briefkasten sind keine Seltenheit – da sollte man schon auswendig wissen, welche Adresse welche Synonyme hat, oder dass der Souvenirladen auf der Route erst gegen 10h seine Türen öffnet und man das Einschreiben besser bei der Wohnadresse des Besitzer zwei Gassen weiter einsortiert.

Ist das geschafft, geht es mit dem schweren Wagen durch die engen Gassen der Stadt. Friseur und Kaffeehausbesitzer warten auf die Tageszeitung für die Kunden, einige Senioren auf die Privatpost. Herr Christian macht in zumindest jedem zweiten Haus einen Steiger, das bedeutet er läuft die Treppen hoch, um eingeschriebene Briefe eigenhändig abzugeben, manchmal auch die normale Post für die älteren Herrschaften. "Wenn ich sowieso zu einer anderen Partei hoch muss… - die alten Leute freuen sich halt!" Auch viele Anwaltsbüros werden persönlich bedient, denn je früher die Post einlangt, desto besser können Gerichtstermine eingehalten werden - da zählt jede halbe Stunde. Der Kundenservice liegt bei der Post in weiten Bereichen in der Hand der einzelnen Zusteller, besonders jener Teil, der über die Dienstvorschrift hinausgeht, wie etwa auch die traditionellen Weihnachtsglückwünsche: Die wenigsten wissen, dass der Briefträger selbst die Kärtchen dafür vom eigenen Gehalt bezahlen muss.

"Im Sommer ist wenig los, aber vor Weihnachten kommt keiner von uns vor fünf Uhr aus der Basis!" Die Weihnachtsgeschenke werden per Postwurfsendung beworben, per Versandhandel bestellt und dann wieder umgetauscht. "Das können Sie sich nicht vorstellen, was sich da tut." Und wenn während des Jahres ein Kollege krank ist, müssen die anderen Überstunden machen und seine Kunden mitbetreuen. Ersatzpersonal, die sogenannten Springer, gibt es oft zu wenige und auch die brauchen in einem ihnen fremden  Zustellbereich die Unterstützung der Kollegen.

Ab Jänner 2013 tritt eine neue Dienstregelung in Kraft. Dann sollen die Dienstzeiten fix vorgeschrieben sein. Niemand darf dann mehr vor 6 Uhr beginnen, wer in den Sommermonaten früher fertig ist, muss trotzdem die 8 Stunden plus Mittagspause bleiben. "Wer von uns dann auch noch zu Weihnachten länger da bleiben soll, ist mir nicht klar!" Manche munkeln sogar, dass die Arbeitsgänge Einsortieren und Austragen auf zwei getrennte Arbeitsgruppen aufgeteilt werden sollen. Für viele wäre der Kontakt zum Kunden damit verloren und mit ihm ein gutes Stück Service-Qualität. Für die Mitarbeiter wird die Tätigkeit durch die reduzierte Flexibilität in der Arbeitszeit und die fehlende Abwechslung zunehmend uninteressant. Rationalisierung mit bitterem Beigeschmack, wenn Menschen ein Stück mehr wie Maschinen funktionieren sollen. Einzelne Kollegen suchen schon nach neuen Arbeitsplätzen: die Jungen, die mit der besseren Ausbildung und die mit der raschen Auffassungsgabe – die anderen werden wohl bleiben, vorerst.

Noch ist Sommer. Zurück in der Basis erledigt Herr Christian noch rasch  den Papierkrieg mit den diversen Unterschriften und Listen. Kurz nach halb Zwölf fährt er ins Gänsehäufel, die Sonne genießen und ausschlafen, so lange das noch geht.

© Eva Kohl, 2012

Es wäre nicht Österreich, hätte sich nicht auch diesmal eine geeignete Lösung im Sinne aller Beteiligten gefunden.