Normalität ist Teamarbeit

Manchmal ist das scheinbar Normale nicht selbstverständlich – wie bei Dominik Kolař, dem kleinen Wirbelwind aus Zlín.

Die weitläufige Grünfläche der Sonderpädagogischen Schule im tschechischen Zlín liegt im Sonnenschein. Das helle Gebäude, dem vereinzelte Backsteinmauern eine schützende Atmosphäre verleihen, beherbergt neben der Mittelschule für Hörbeeinträchtigte auch das öffentliche Zentrum für Hör- und Sprachprobleme. Dort wartet Familie Kolař. Der zweieinhalbjährige Dominik hört seiner Mutter aufmerksam zu und plaudert mit vollem Mund, während er die Reste einer Banane genießt. Dann zischt er wieder von einem Spielzeug zum anderen und hält seine Eltern, sowie Therapeutin Lenka Pastyříková in Atem. Als er einen besonders schönen Stein in der Spielzeugkiste findet, ruft er seinen Vater herbei: „Papi!“ Ein Verhalten wie es für Kinder in diesem Alter typisch ist. Bei Dominik ist es aber keinesfalls selbstverständlich, war zu Beginn seines Lebens doch nicht sicher, ob er je verbal kommunizieren können wird.

Eine Untersuchung am Tag nach Dominiks Geburt hat ergeben, dass er gehörlos ist. Viele Eltern würde eine solche Diagnose schocken. Für Familie Kolař war die Information nicht überraschend: Zwei Großeltern der jungen Mutter sind gehörlos. Gebärdensprache ist in der Familie bekannt. Trotzdem entschieden Dominiks Eltern: „Unser Sohn soll möglichst normal aufwachsen. Wir möchten ihm die besten Kommunikationsmöglichkeiten anbieten, die wir für ihn finden können.“ Der HNO-Spezialist der örtlichen Klinik schlug den Eltern ein Cochleaimplantat, kurz: CI, vor. Das ist ein elektronisches Implantat, welches das Innenohr ersetzt und den Hörnerv stimuliert.

 

Im April 2015 war es so weit: Dominik erhielt an der St. Anna Universitätsklinik in Brünn sein erstes Cochleaimplantat. Ein besonderer Glücksmoment war es für die Eltern „als er das erste Mal auf seinen Namen reagiert hat“ und Wochen später dann das erste „Mama“ aus seinem Mund! Es war für die Familie schwierig, die Finanzierung für die Implantation der zweiten Seite zu erreichen, aber für die Eltern war klar: „Es ist normal, auf beiden Seiten zu hören. Unser Bub soll das auch können. Außerdem hat man uns erklärt, dass damit die Orientierung und das Verstehen bei Hintergrundgeräuschen besser sind.“

 

Doch auch mit der bestmöglichen CI-Technologie muss Hören erst erlernt werden. Obwohl Diagnose und Operation bei Dominik rasch erfolgten, hatte er schon einige Monate Hörentwicklung versäumt. Deswegen ist gezielte Therapie für ihn wichtig. Pastyříková betreut Dominik seit dem Alter von drei Monaten, als er gehörlos war und die ersten Gebärden lernte. Seit der Aktivierung des ersten CIs kommt er alle zwei Wochen mit den Eltern zur Therapie. Zusätzlich besucht eine Betreuerin Familie Kolař einmal im Monat zu Hause.

 

In den Therapieeinheiten beobachtet Pastyříková, wie Dominik sich seit dem letzten Treffen entwickelt hat: Wie reagiert er auf Geräusche oder Musik? Dabei agiert Pastyříková flexibel und abwechslungsreich, denn Dominiks Konzentrationsspanne ist altersbedingt noch kurz. Sie wechselt bewährte Spielmaterialien mit modernster Computertechnologie ab, um das Energiebündel bei der Stange zu halten.

 

Den zweiten Teil der Arbeit bildet die Unterweisung der Eltern, wie sie zuhause mit Dominik arbeiten sollen. Dominik hat Glück, denn seine Mutter ist Hausfrau geworden, um ihn optimal betreuen zu können. So hat sie Zeit mit ihm zu üben. Jede Handlung des Alltags begleitet sie für ihn sprachlich.

 

Dominik hat gut aufgeholt. Obwohl er erst ein Jahr lang hört, verwendet er schon Zwei-Wort-Sätze. Bald wird er den Rückstand auf normalhörende Gleichaltrige überwunden haben. Jeden Tag lernt er neue Begriffe: Als die Therapeutin ein Zündholz entzündet, warnt sie Dominik: „Vorsicht, heiß!“ ‚Heiß‘ ist ein neues Wort für Dominik. Er läuft durch das Zimmer und wiederholt ständig „heiß, heiß!“ In den nächsten Tagen wird Mama noch oft erklären müssen, was alles heiß ist, und was nicht.

 © Eva Kohl 2016

Mit freundlicher Genehmigung des CIA und der Redaktion der Gehört.Gelesen