Food-Corner auf der Mazzesinsel

Genuss, der den religiösen Vorschriften entspricht – damit locken Fleisch- und Lebensmittelstände am Karmeliter- und Volkertmarkt. Die Tendenz geht zum Food-Corner, der Fressecke. Auf der Mazzesinsel, wie die Wiener das Gebiet beidseits der Taborstraße im 2. Bezirk nennen, leben traditionell viele jüdischen Käufer und Käuferinnen.

 

Der Volkertmarkt zwischen Augarten und Wiener Prater liegt träge in der Morgensonne. Während sich am Touristikmagnet Naschmarkt in den Sommermonaten die Menschenmassen durch die Gänge schieben, ist es hier betont ruhig. Besonders am Samstag, wenn die jüdischen Stände geschlossen halten.

 

Ruhe vor dem Sturm

Die Betriebe Dogo und Yudale dominieren die stadtauswärts gelegene Hälfte des Volkertmarkts. Es gibt das bosnische Dogo Cafe, Obst und Gemüse, sowie Gemischtwaren. Und es gibt die Yudale-Fleischhauerei, das Restaurant und das Catering.

 

Die koschere Fleischerei Yudale öffnet wochentags nicht vor 10 Uhr;  um 17 Uhr wirkt der Markt wieder ausgestorben. Yudale Izhak und Rabbi Mosche Israelov machen es sich auf der Rattan-Garnitur vor dem Geschäft bequem. Das Ambiente erinnert an ein Club-Lokal am Strand. „Unsere Kunden kaufen am Nachmittag ein. Nach drei oder vier Stunden ist die Arbeit erledigt“, erklärt Izhak.

 

Das eigentliche Tagwerk beginnt für ihn früher: „Heute haben wir eine Kuh geschlachtet.“ In Niederösterreich, in Wien geht das nicht. Für koscheres Fleisch muss geschächtet, also mit einem raschen Schnitt die Schlagader des Tiers geöffnet werden und das Tier muss ausbluten. Der sephardische  Rabbiner erklärt: „Das muss ganz schnell gehen. Wir dürfen keine Tiere quälen.“ Der jüdische Tierschutz beträfe nicht nur Schlachttiere; alle Tiere würden geschützt.

 

Bei der Schächtung kollidiert die jüdische Vorschrift mit dem mitteleuropäischen Verständnis von Tierschutz. In Österreich muss vor dem Schlachten mit einem Bolzenschussapparat betäubt werden. „Wenn sie ein Tier betäuben, ist es manchmal schon tot, bevor sie es schächten.“ Man hat eine österreichische Lösung gefunden: Betäubt wird unmittelbar nach dem Kehlschnitt.

Doppelt zertifiziert

Bei Yudale kaufen nicht nur gläubige Juden ihr Fleisch. Auch Nicht-Juden, die beim Fleisch auf Bio setzen, zählen zu seinen Kunden. Das Fleisch, das Izhak seinen Kunden anbietet, ist doppelt zertifiziert – Bio und ‚glatt koscher‘.


Bei koscher gibt es mehrere Standards. ‚Glatt koscher‘ entspricht der höchsten Kategorie von koscher.  Der Geistliche kommt  zum Schlachten mit, erklärt Izhak. „Der Rabbi macht nach dem Schlachten die Kontrolle, ob die Lunge gesund ist.“  Nur wenn das Schlachtvieh gesund war, entspricht es den höchsten mosaischen Standards. Rabbi Moshe dazu: „Das Bio kontrolliert der Staat, vorher.“

 

Die Sommermonate nützt der Besitzer des Yudale für Umbauarbeiten. Die Fleischhauerei übersiedelt in einen neu adaptierten Stand auf der anderen Seite des Marktes. In das leer werdende Gebäude zieht ein weiteres, koscheres Restaurant ein; ein Asiate. „Wir werden einen chinesischen Koch für chinesische Speisen haben und einen japanischen Koch für Sushi. Der Rabbi sorgt für koscher.“  Im November soll eröffnet werden, freut sich Izhak schon: „Wenn wir bis dahin fertig werden.“

Warum Tiramisu nicht koscher ist

Auch am nahen Karmelitermarkt ist kaum mehr Betrieb. Die koscheren Geschäfte sind in den Häusern untergebracht, die den Marktplatz säumen. In der blank geputzten Fleischerei Bahur-Tov werden gerade Hühner zerlegt, Handarbeit im Verkaufsraum. Nebenan im Hadar wartet die Besitzerin auf Kunden. Nicht mehr lange, bald sperrt sie für immer zu. 14 Jahre lang hat sie das Geschäft geführt, aber: „Es geht nicht mehr so gut wie früher. Die jüdische Gemeinde ist sehr klein.“  Die Israelische Kultusgemeinde geht von aktuell 15.000 Juden österreichweit aus. Bei der letzten Volkszählung 2001 lebte über ein Drittel der bekennenden Juden im 2. Wiener Gemeindebezirk. Auch wenn die Zahl der jüdischen Bürger leicht steigt, die Zahl der Kunden sinke: „Nicht alle essen koscher.“ 

Das Hadar wirkt wie ein Wiener Greißler des letzten Jahrhunderts. Mit der Ausnahme, dass die Waren hier den mosaischen Speisegesetzen entsprechen; sogar die Marmelade und die Gummibärli. Diesen Produkten wird Fischgelatine statt Schweingelatine beigemengt. Bio ist hier nicht zu finden. „Ich habe gehört, in Israel ist Bio in Arbeit. In Österreich sind wir noch nicht so weit.“ 

Gläubige Juden dürfen fleischige und milchige Speisen nicht miteinander kombinieren. Das Hadar bietet Kekse und Kuchen, die ohne Eier und Milch auskommen. Damit sind sie ‚parve‘, neutral, und können nach jeder Art von Speise als Nachtisch genossen werden. „Kinder passen da nicht so auf“, sagt die Geschäftsfrau: „Da muss man vorsichtig sein.“

Israelische Biokost

Zurück am Markt.  Das Bio-Restaurant Tewa ist der Platzhirsch am Übergang zwischen den Lebensmittelständen und dem hippen Slow-Food-Corner. Tewa bedeutet auf Hebräisch Natur.  Besitzer ist der in Usbekistan und Israel aufgewachsene Jude Eli Kaikov, dem auch ein Restaurant und ein Bio-Laden am Naschmarkt gehören. Das Lokal erstreckt sich über zwei Marktblocks, vor den großen Scheiben setzt es sich im Freien fort. Der helle Schankraum besticht mit geraden Linien. Vom Hühnerschnitzel über Polenta bis zum Wok gibt es im Tewa alles. Mit Humus, Falafel und den Wachtelbohnen Ful stehen typisch israelische Speisen auf der Karte – koscher sind auch die nicht.

Das Tewa hat auch am Sabbat  geöffnet – den Kellner Baris Polat stört das nicht: „Ich bin Moslem. Die Besitzer kommen heute nicht her, nur der Bar-Chef muss da sein.“ Auch wenn das für einen gläubigen Juden nicht ganz ok sei, verteidigt er seinen Kollegen: „Wir sind hier in Österreich.“ 

Das Tewa ist ideal für jene, denen jüdische Religionsvorschriften nicht wichtig sind: israelisch, nicht unbedingt koscher.

© Eva Kohl 2016


Koscher und Halal

 Koscher bedeutet: dem jüdischen Gesetz entsprechend; bei Lebensmitteln: zum Verzehr geeignet. Koscher sind:

  • Obst, Gemüse und Getreide,
  • Fische mit Schwanz- und Rückenflosse,
  • Geflügel aus der Haustierhaltung und einzelne Wildvögel, 
  • Fleisch von wiederkäuenden Paarhufern wie Kuh, Schaf oder Ziege, wenn sie rituell geschächtet wurden,
  • Eier und Milch von koscheren Tieren.

Milchige und blutige Speisen müssen streng getrennt werden.

Nicht-koschere Zusatzstoffe sind untersagt, genaue Richtlinien definieren die Herstellung mancher Lebensmittel.

 

Was Koscher für Juden, das ist Halal für Moslems. Die erlaubten Lebensmittel sind bis auf wenige Ausnahmen gleich, die Vorschriften zur Schächtung sind aber in Details einander ausschließend.

Obwohl  beide Vorschriften Wert auf möglichst schmerzfeie Schlachtung legen, ist vorherige Betäubung verboten. In Europa geltende Tierschutzregeln stehen dem entgegen. In  Österreich darf nur geschächtet werden, wenn sofort nach dem Kehlschnitt betäubt wird. In Deutschland bedarf es einer Sondergenehmigung, die Religionskonformität einer Kurzzeitbetäubung vor dem Schnitt wird diskutiert.