Buntes Ecuador

Mit einem Eimer Farbe kann man Hassparolen an Wände schmieren, oder aber man kann Straßenkunst schaffen oder die Lebensqualität im Armenviertel verbessern. Auf einer Freundschaftsreise mit "Jugend eine Welt" lernen wir im Jänner 2020 in Ecuador wir ganz unterschiedliche Entwicklungsprojekte kennen.

Das Museum am Äquator nahe Quito, eine Finca mit Mischkultur in Shandia im Amazonas-Tiefland, die Auswilderungsstation Amazoonico – unsere 16-köpfige Reisegruppe, organisiert von Monika Mlnarik und Nelly Baleri und begleitet von Reiseleiter Dario Revelo, ist schon neun Tage unterwegs, als unser Bus sich der Hafenstadt Guayaquil nähert. Mit etwa drei Millionen Einwohnern ist das die größte Stadt des Landes und steh in krassem Gegensatz zu den Dörfern im Hochland oder im Amazonastiefland, die wir zuvor besucht haben. Guayaquil ist eine Handelsmetropole, eine moderne und pulsierende Stadt – und eine Stadt mit vielen Facetten.

Zu diesen Facetten gehören auch die Elendsviertel, in Ecuador Invasiones genannt, wie auf der Insel Trinitaria im Südosten der Stadt. Hier leben vor allem Afroecuadorianer, viele kamen aus der Provinz Esmeraldas auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Doch Trinitaria bietet kaum Infrastruktur für die mehr als 7000 Menschen.

Anerkennung und Identifikation bringen

Erst bei einer Bootstour erahnen wir das volle Ausmaß des Elendsviertels, das zur Gänze auf Pfählen im Wasser steht. Ein düsteres Imitat Venedigs: Arbeiter auf Booten klauben unzählige Müllsäcke von den Böschungen ein. Hinter einem verfallenen Haus hängt Wäsche auf der Leine, ein paar Stücke ausgewaschener Hoffnungslosigkeit in Form von T-Shirts und Shorts. Entlang des Ufers, zwischen den Häusern und dem schmutziggrauen Wasser des Flusses, zieht sich eine Strandpromenade – ein Vermächtnis des letzten Präsidenten.

Inmitten der Invasiones, im Viertel Nigeria, bieten die Salesianer im Gemeindezentrum Casa Don Bosco der Hoffnungslosigkeit die Stirn: Schule und Nachmittagsbetreuung für 360 Kinder und Jugendliche. Zu den Freizeitangeboten gehört auch eine Musik- und Tanzgruppe. Selbstbewusst, routiniert und professionell wirbeln die Jugendlichen mit einem strahlenden Lächeln durcheinander, fordern uns zuletzt zum Mitmachen auf. Die Musik vermittelt den jungen Menschen die Möglichkeit Anerkennung zu erfahren. Zudem lernen sie über afrikanische Musik, sowie über Partnergemeinden in Afrika, die Wurzeln ihrer Vorfahren kennen.

Der neueste Teil des Gemeindezentrums ist die Kirche: Die Heiligenbilder an den Seitenwänden stellen vorwiegend schwarzafrikanische Heilige dar, das Altarbild zeigt Trinitaria bevor es zum Elendsviertel wurde. Christus am Kreuz ist aus dunklem Holz geschnitzt. Menschwerdung Gottes, als unser Bruder – und Brüder sind hier schwarz. Im Altarraum zeugt Anfang Jänner eine Weihnachtskrippe vom wachen liturgischen Leben.

Vorzeigeprojekt Salinas

Die Salesianer betreuen zahlreiche Entwicklungsprojekte in Ecuador, fünf davon allein in Quito, dazu zahlreiche Ausbildungsstätten und Pfarren – vier ihrer Wirkungsstätten haben wir im Lauf der Reise besucht. So auch die Kleinstadt Salinas de Bolivar.

Unser erster Besuch dort gilt Pater Antonio Polo. Als wir zum Treffpunkt vor der Kirche kommen, wird der geborene Italiener mit weißem Vollbart, Baskenmütze und gestreiftem Schal von etlichen jungen Leuten umringt, die Selfies mit ihm aufnehmen. Vor 50 Jahren, als der Salesianer-Pater nach Salinas kam, war die Lebenssituation der indigenen Bevölkerung dort ähnlich hoffnungslos, wie heute die Situation der Afroecuadorianer im Viertel Nigeria in Guayaquil. Die einzige Arbeitsmöglichkeit war die Salzgewinnung an den drei Salzseen; die Menschen arbeiteten für die Besitzer der Seen. Vorsichtig setzen wir unsere Füße zwischen die Sole-Pfützen, um unsere Schuhe zu schonen. „Meine Großeltern haben als Dreijährige hier zu arbeiten begonnen“, erzählt die junge Frau, die uns die Seen zeigt.

Als Pater Antonio vor 50 Jahren hierherkam, galt seine erste Bemühung den Kindern, um ihnen den Besuch einer Schule zu ermöglichen. Im Zuge der Landreform hatten die Bewohner erstmals die Möglichkeit, selbst Grund zu erwerben. Ohne Erfahrung und Geschäftsverbindungen war die Selbständigkeit aber nicht so einfach. Die Salesianer, in Person Pater Antonios, begleiteten den langen Weg bis zur Gründung der heute erfolgreichen Genossenschaft, die zum Aufschwung Salinas führte.

Voll Stolz führt uns unsere örtliche Begleiterin durch die steilen Schotterstraßen der Stadt zu den verschiedenen Produktionsstätten. Der Käserei, der Woll- und der Schokoladenmanufaktur statten wir längere Besuche ab. Zu sechst genießen wir dann im nahen Kaffeehaus eine Tasse Trinkschokolade und eine kleine Kostprobe gesalzener Schokolade, die eigentlich für den Export nach Asien gedacht ist. Im benachbarten Restaurant wird Pizza angeboten – das Rezept ist die Hinterlassenschaft eines Freiwilligen aus Italien.

Auf rot-weiß-roten Spuren

Ein besonderer Höhepunkt unserer Rundreise ist der Besuch einer Schule in Cuenca. Die historische Innenstadt Cuencas ist seit 1999 UNESCO Weltkulturerbe. Sie besticht mit kolonialer Architektur, vielfältigen Marktplätzen und farbenfrohen Fassadenmalereien. Die Geschichte der Stadt im Hochland von Ecuador lässt sich auf indigene Wurzeln zurückführen - Kañari und Inka haben ihre Spuren hinterlassen. Beim Besuch der Schule wandeln wir aber nicht nur auf österreichischen Spuren, sondern wir haben sogar die „Spurenlegerinnen“ mit dabei!

Die Gründung des hiesigen Kindergartens geht auf die beiden österreichischen Entwicklungshelferinnen Erika Stiglmayr und Christine Gattringer zurück, beide Teil unserer Reisegruppe. Sie waren vor vielen Jahren als Krankenschwestern im damaligen Armenviertel in Cuenca im Einsatz. Damals beobachteten sie Kleinkinder, die den Tag unbeaufsichtigt auf der Straße verbrachten – die arbeitenden Eltern konnten sich nicht um sie kümmern. Kurzerhand suchten die beiden Frauen eine Kindergärtnerin, die sich um die Kleinen kümmern würde, und wurden in Maria Wimmer-Schausberger fündig. Die baute im Lauf von fünf Jahren in Cuenca nicht nur den Kindergarten auf, sondern bildete auch Kindergärtnerinnen aus, die ihre Arbeit weiterführen konnten.

Die Wohngegend hat heute nichts mehr von einem Armenviertel. Der Kindergarten wurde im Lauf der Jahre um eine Schule erweitert, die ihre Schüler mittlerweile bis zur Hochschulreife führt. Auch zurzeit arbeiten zwei junge Österreicherinnen im Rahmen ihres freiwilligen sozialen Jahrs dort. Laura und Elisabeth zeigen uns die Schule, und erzählen von ihrem Aufenthalt und ihren Erfahrungen.

Wie überall, haben wir auch in Cuenca ein volles Programm: In der Manufaktur "Casa de la Makana" lernen wir traditionelle Färbe- und Webtechniken kennen. Beim Besuch der Privatuniversität Técnico Salesiano staunten wir über Studienprojekte am Bereich Medizintechnik und Landwirtschaft, ganz im Geist einer „Gemeinwohl-Universität“. Ein Stadtspaziergang bietet eine kurze Atempause, bevor wir am Abend noch einen „Senior-Expert“ aus Österreich treffen, der an der Uni im Einsatz ist. Insgesamt bleibt mir Cuenca als unsere „österreichischste“ Destination in Ecuador in Erinnerung, als rot-weiß-rote Erfolgsgeschichte.

Aus Touristen werden Besucher

Wir besuchen auf unserer Reise durch Ecuador nicht nur Entwicklungsprojekte, sondern auch touristische Highlights. Überall nutzen wir die Möglichkeit zu fragen und ständig kommen auch unsere Fotoapparate zum Einsatz. Der schmale Grat zwischen Interesse und Voyeurismus ist gerade bei den Projektbesuchen und persönlichen Begegnungen vom Blickwinkel des Betrachters abhängig.

In der Gemeinde Santa Cruz de Guamote machen wir bei einer Kooperative von Quinoa-Bäuerinnen Halt. In der Region um Santa Cruz herrscht Arbeitslosigkeit, die Männern wandern zum Arbeiten in die Städte aus, oder auch in die USA. Viele kommen nicht mehr zurück. Einige Frauen in Santa Cruz haben das Schicksal ihrer Familien in die eigenen Hände genommen. Mit Unterstützung der ecuadorianischen Entwicklungsorganisation Maquita haben sie sich zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen, die Quinoa pflanzen und vermarkten.

Maquita unterstützt Projekte in Landwirtschaft, Produktion, Dienstleistungen und Tourismus, welche die Lebensqualität von Familien in prekären Situationen verbessern; Projekte, die Gerechtigkeit, menschliche und christliche Werte anstreben. Die Bio-Landwirtschaft der Frauen verfügt neben dem eigenen Kompost auch über eine Regenwurm-Zucht. Nebenbei halten die Frauen Meerschweinchen, die in Ecuador eine ähnliche Rolle haben, wie bei uns am Land früher die Kaninchen. Auch hier fotografierten und filmten wir fleißig, während die Bäuerinnen erzählen.

Im Anschluss überraschten uns die Ecuadorianerinnen mit der Frage, welche Herausforderungen der Getreidebau in Österreich bietet und wie die österreichischen Bauern ihnen begegnen. Doch nicht genug damit, denn als Monika im Namen der Landwirtschaftsexperten unserer Gruppe zu erzählen beginnt, von unseren Jahreszeiten, vom Schnee im Winter und von der Notwendigkeit zu Vorräten, da zücken die sechs Damen aus Santa Cruz rasch ihre Smartphones, und beginnen zu fotografieren und zu filmen: ein unvermuteter Rollenwechsel.

Der Rundgang durch die Landwirtschaft endet mit einem launigen Austausch über Modefragen: Unter allseitigem Gelächter vergleichen wir die typische Kleidung der ansässigen Puhuares mit den Fotos, die Mathilde Schlichtherle-Frey aus unserer Reisegruppe am Smartphone hat: Sie und ihre Familie in Dirndln und Trachtenanzug. Und während wir gemeinsam scherzen und lachen, verwandeln wir uns endgültig von Touristen zu Besuchern.

Farbe ins Leben bringen

Die bunten Trachten der Frauen in Santa Cruz, die farbenfrohen Malereien in den Straßen von Cuenca, die peppigen Muster der Strickwaren in Salinas – in Ecuador drückt sich Lebensfreude auch über Farben aus. Umso bedrückender wirkt das Grau der Invasiones auf Trinitaria in Guayaquil.

Aus diesen Schatten der grauen Hoffnungslosigkeit aber stahlt farbenfroh das Gemeindezentrum der Salesianer. Im rückwärtigen Teil der Kirche stehen noch Farbtöpfe bereit, um die bunten Wandbilder weiter zu ergänzen. Auch die kahle Steinmauer um das Gemeindezentrum ziert eine großflächige Malerei. Und außerhalb der Mauern, vom Gemeindezentrum bis hin zu den braungrauen Wassern des Rio Guayas, haben die Salesianer einen Straßenzug mit grünen Bäumen bepflanzt - in ein paar Jahren werden sie Schatten spenden. Die Häuser strahlen hier frisch gestrichen, jedes in einer anderen Farbe.

Ein Straßenzug nur unter den vielen, ein paar Meter Lebensqualität und Zuversicht - ein Senfkorn nur. Als wir abfahren entdecke ich zwischen den verfallenden Hütten einen Neubau, ein Stück weiter noch einen. Vereinzelt. Ich frage mich, wie viele solcher Senfkörner es für 7000 Menschen wohl brauchen wird.

Fotos und weitere Eindrücke

Facebook Gedankenreisen @eva.kohl.unterwegs

Besuchte Projekte

Jugend eine Welt / Salesianer Don Bosco

Krisenzentrum in Quito

Salinas de Boliviar - Produktionsgemeinschaft Salinerito

Universität Politécnica in Cuenca

Gemeinde in Nigeria/Trinitaria/Guayaquil

Maquita

Maquita Turismo 

Lodge in Shandia

Restaurant Mirador in Pistishi bei Nariz del Diablo

Lodge in Quinkiguan

Quinoa-Kultur in Santa Cruz/Provinz Chimborazo

Kaffee- und Kakaokooperation bei Poza Honda

WeitereTrägerorganisationen

Auswilderungsstation Amazoonico

Schule in Cuenca

FairTrade Rosenfarm Hoja Verde in Cayambe