„Man muss für irgendetwas gut sein!"

Der 78-jährige Gerhard Weis ist österreichischer Journalist und pensionierter Rundfunkmanager. Er erfüllte zahlreiche Funktionen beim österreichischen Radio und Fernsehen - unter anderen 1998 bis 2001 jene des ORF-Generalintendanten.

In die Amtszeit von Gerhard Weis beim ORF fällt auch die Einführung von Regionalstudios und Minderheitenprogrammen: „Dass man die Minderheiten in Österreich so mies behandelt, hat mir noch nie gepasst und als ich etwas tun konnte, habe ich es gemacht.“ Der Medienmann nahm sich bewusst dieser Randgruppen unserer Gesellschaft an. „Minderheiten in einer Gesellschaft haben eine überaus wichtige Funktion, weil sie das Spektrum erweitern.“ Ein weiteres Spektrum, das sorge für andere Argumente, Standpunkte und Sichtweisen - und für die Bekämpfung von Vorurteilen.

Das Dorf an der Grenze

„Die Slowenen wurden immer als Fremdkörper betrachtet. Die Wahrheit ist: Hätten die damals bei der Volksabstimmung nicht für Kärnten votiert, wäre ganz Kärnten bei Slowenien gelandet.“ Gerhard Weis hat sich schon 1974 – 1978 als ‚Fernsehintendant 1‘ mit den Problemen der Minderheiten beschäftigt. „Damals haben wir Das Dorf an der Grenze gedreht. Die Serie sollte der Auseinandersetzung mit Tito, den Partisanen und dem Kärntner Heimatdienst, und auch mit dem Selbstverständnis dieser Kärntner dienen. Das hat damals große Widerstände ausgelöst, gleichzeitig aber auch eine große Diskussion in Gang gebracht.“ Weis wurde für diese Arbeit der Einspieler-Preis verliehen. Der katholische Prälat Andrej Einspieler vertrat als Geistlicher, Politiker und Publizist die Rechte der slowenischen Minderheit. Den nach ihm benannten Preis verleihen die Kärntner Slowenen an Nicht-Slowenen, die sich um ihre Minderheit verdient machen.

„Es ist doch unmöglich, dass man in einem Staat zusammen lebt und einander Feind ist“, sieht Weis die Ehrung als Bestätigung. „Als Journalist muss man für irgendetwas gut sein.“ Ein Ziel, das sich jeder Mensch setzten solle: „Nur so in den Tag dahinein leben und den Rahm abschöpfen, das geht nicht. Ich wollte immer gut sein dafür, dass in unserer Gesellschaft ein tieferes Verständnis füreinander entsteht.“

Integration fordert beide Seiten

Heute stehen mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen andere Minderheiten und Randgruppen im Fokus. In Österreich sollen Untertitel, Gebärdensprache und Tonspuren für Sehbeeinträchtigte das Fernsehen barrierefrei machen. Die spezifischen Themen unterschiedlich beeinträchtigter Menschen werden im regulären Programm am Rande behandelt, zusätzlich in Österreich – und EU-weit - auch in eigenen Medien und Redaktionen aufgegriffen.

Spezielle Programme haben aus der Sicht von Gerhard Weis Vorteile. „Weil sich viele Normalbürger gestört fühlen, dass da jemand wild gestikuliert“, beschreibt er den Eindruck mancher Zuseher von Gebärdensprache. „Manche mögen es auch nicht, dass man auf Behinderte zu sehr eingeht.“ Andererseits würden eigene Programme der Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen entgegenwirken. „Die richtige Rezeptur, wie man damit umgeht, habe ich auch nicht.“ Weis hofft auf eine Haltungsänderung in der Bevölkerung, fordert aber auch von den Behinderten, nicht mit unangemessenem Verhalten unnötig zu provozieren.

„Es geht nicht ums Mitziehen"

Die Konfrontation der Zuhörer und Zuseher mit Behindertenthemen bedürfe des Feingefühls: „Das muss irgendwie wachsen, das kann man nicht erzwingen.“ Der erfahrene Medienfachmann erinnert an die sogenannte „Zerstörung unwerten Lebens“ im Österreich der Nazi-Zeit oder aktuell an die Situation in einem von Wladimir Putin regierten Russland: „Dort haben die Behinderten auch nichts zu lachen. Putin ist ein Kraftmensch und alle die da aktiv sind, das sind seine Liebkinder.“ Die anderen sehe man dort als jemanden, den man „irgendwie mitziehen“ müsse.

„Es geht aber nicht ums Mitziehen. Es geht darum zu sehen, dass auch Behinderte eine Funktion in unserer Gesellschaft haben. Nehmen sie diesen englischen Super-Mathematiker her, der im Rollstuhl fährt und unglaubliche Leistungen erbringt!“ Nur zwei Jahre nach Erlangung seines Ph.D. degenerierte das motorische Nervensystem des britischen Wissenschaftlers Stephen William Hawking soweit, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen ist – eine Folge der Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose, kurz: ALS. Mit 43 Jahren verlor er zusätzlich die Fähigkeit zu sprechen. Ungeachtet dessen ist er mehrfach ausgezeichneter Physiker und Atomphysiker, sowie Autor mehrerer Bücher.

„Wir müssen sehen, dass auch bei Behinderten Fähigkeiten und Talente vorhanden sind, die nutzbar gemacht werden können. Und dazu muss man jemandem eine Chance geben!“ Begleitung durch die Medien müsse aber vorsichtig erfolgen: „Dass sie nicht die Mehrheit verschrecken, sondern die Mehrheit hinführen zum Thema. Das geht halt nur im Schritt, da muss man sich selbst Zeit geben und geduldig sein.“

Davi mit nur einem Haxn

Beeinträchtigte im Fernsehen darzustellen, damit stieß Weis schon als Intendant des heutigen ORF1 auf Ablehnung „Wir haben es auch mit Humor versucht“, erinnert er sich an die Produktion der Krimi-Parodie „Kottan ermittelt“. Das heutige Kultprogramm war bei seiner Erstausstrahlung ab 1976 ein Skandal: „Ich musste zweimal ins Parlament – Rede und Antwort stehen. Der Polizeipräsident hat mir vorgeworfen, dass ich eine kommunistische Unterwanderung des Staates fördere.“

Eine der Schwierigkeiten war die Mitwirkung des einbeinigen Schauspielers Walter Davy als Dezernatsleiter Paul Schremser. Sein Bein hatte Davy im Krieg verloren, vor seinem Eintritt ins Max-Reinhard-Seminar. In den Siebzigern war der Künstler Oberregisseur des ORF-Fernsehens und Autor zahlreicher Hörspiele und Drehbücher – also hinter den Kulissen tätig. In der Kottan-Serie übernahm der Kriegsversehrte eine Rolle, die sonst nicht primär mit einem Invaliden assoziiert worden wäre.

„Ist das notwendig, dass ihr einem mit nur einem Haxen so eine Rolle gebt?“, erinnert sich Gerhard Weis an die Widerstände. „Wissen sie, die Vorführung von menschlichen Behinderungen, von denen man selbst bisher verschont geblieben ist, die aber doch selbst noch drohen – das mögen die Leute nicht.“ Schließlich habe jeder das Risiko, einen Fuß zu verlieren – sei es wegen eines Raucherbeins oder bei einem Unfall. Weis dazu: „Das kann dir genauso passieren – und was ist dann?“

Autor: Eva Kohl, © Gehört.Gelesen 2017

Mit freundlicher Genehmigung des CIA und der Redaktion der Gehört.Gelesen