Ein kleines Denkmal

In der Schulzeit hatten wir mit vielen Pädagogen zu tun, oder mit solchen, die es eigentlich sein hätten sollen. Manche waren sich ihrer Aufgabe als Erzieher und Lehrkräfte bewusst, andere weniger. Nur einer war sich sicher, dass unsere Bildung und Erziehung nicht seine Aufgabe war: Unser Herr Rudolph.

Wenn er die Klassentür öffnete, wussten wir, jetzt geht es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben: um die Tafel, die wieder unsauber und verschmiert war, oder um die Sessel, die wir hochstellen sollten, damit er am Abend oder über das Wochenende den Fußboden bohnern kann. Wenn sich bei uns leichter Unmut regte, weil wir schließlich zum Lernen gekommen waren und nicht zum Aufräumen, hatte er immer die gleiche Antwort für uns: „Burschen, a Hand wascht die and‘re“, und nach einer kurzen Gedankenpause fügte er stehts hinzu: „und zwa woschen´s G´sicht.“

Das sagt sich leicht, wenn man als Erwachsener den gesamten Lehrkörper hinter sich hat. Wie ernst er es mit uns meinte, wurde uns an jenem Tag klar, als er kreidebleich zu uns ins Klassenzimmer kam: Einer seiner Schützlinge aus der Parallelklasse hatte nicht weiter gewusst und sich vom dreizehnten Stock des Schulhauses aus dem Fenster gestürzt – Herr Rudolph hatte es nicht verhindern können.  

Er war es gewesen, der versucht hatte ihn zu halten.

Wenn aus dem Radio Ambros mit ‚Schaffnerlos‘ klingt, denke ich an einen Mann im blauen Arbeitsmantel, denn:
„Man kann einfach der Schulwart, oder man kann der ‚Herr Rudolph‘ sein.“

© Eva Kohl 2015