Auf der anderen Seite

Bogomil Lubikov aus Sofia hat ein Jahr lang in Denver im US-Staat Colorado als Schüler gelebt – als Kind einer hörenden und einer gehörlosen Gastfamilie. Jetzt beherrscht er vier Sprachen –bulgarische und amerikanische Gebärdensprache, Englisch und seine Muttersprache Bulgarisch.

"In Wirklichkeit weißt niemand, was die Zukunft bringt. Das Leben ist verrückt, und nichts ist absolut sicher”, so stand es im Sommer 2017 auf Facebook zu lesen – und wenige Tage später im selben Profil: “Hallo… von der anderen Seite.” Dazu eine Aufnahme aus Washington DC. Knapp einen Monat nach seinem 18. Geburtstag hat das „verrückte Leben“ Bogomil Lubikov auf die andere Seite, in die Vereinigten Staaten von Amerika, geführt. In Denver besuchte er ein ganzes Jahr lang gemeinsam mit amerikanischen Jugendlichen die Highschool.

Das “Kennedy-Lugar Youth Exchange and Study”-Programm für interkulturellen Schüleraustausch, kurz: YES, wurde im Oktober 2002 als Antwort auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA ins Leben gerufen. Hinter dem Projekt steht das Büro für Bildung und Kultur im US-amerikanische Außenministerium, das in den USA für interkulturellen Austausch zuständig ist. YES soll interkulturelles Verständnis zwischen US-Amerikanern und Bürgern anderer Staaten fördern. Im Fokus stünden dabei Ländern, in denen ein relevanter Anteil muslimischer Bevölkerung lebe, so die Homepage von YES – wobei die Religionszugehörigkeit kein Kriterium für die persönliche Teilnahme ist.

Zwei Sprachen parallel lernen

Während ihres Aufenthalts im Gastland leben die jungen Leute bei Gastfamilien und besuchen tagsüber die High-School. Sie sollen die Gesellschaft und deren Wertvorstellungen im Gastgeberland über die Teilnahme am Alltag kennen lernen. Für Bogomil bedeutete das, die erste Hälfte seines Aufenthalts bei einer gehörlosen Familie zu leben. „So habe ich die Amerikanische Gebärdensprache sehr gut gelernt.“

Bogomil beherrschte zwar bereits die bulgarische Gebärdensprache, doch die amerikanische Gebärdensprache ASL war völlig neu für ihn. Bei Englisch brachte er seine Schulkenntnisse mit. Wenn er Englisch sprechen sollte, fühlte er sich dennoch in der ersten Zeit nicht wohl: „Aber ich konnte wirklich gut schreiben.”

Während Bogomil bei der Gastfamilie ASL lernte, gewann er parallel auch in der verbalen Kommunikation auf Englisch zunehmend Sicherheit. „Nach zwei oder drei Monaten hat sich mein Englisch wesentlich verbessert und die Leute in meiner Umgebung konnten mich leicht verstehen.” So fühlte er sich auch bei seiner zweiten Gastfamilie wohl, die ausschließlich auf Englisch mit ihm sprach.

Amerikanischer Lebensstil

In Amerika ist alles anders - zumindest haben die meisten Europäer dieses Gefühl, wenn sie das erste Mal nach Amerika kommen. Sich dann mehr oder weniger alleine in einem ganz andere Schul- oder Uni-System zurechtzufinden, kann schon beängstigend sein. Freunde und Familie sind weit weg, niemand da um sich darüber auszutauschen. „Mein Hals war trocken. Ich habe am ganzen Körper gezittert. Ich habe nichts gemacht, als nur still da zu sitzen, weil ich mich so gefürchtet habe”, erinnert sich Bogumil an seinen ersten Tag an der Schule, die ihn dann aber überzeugte. „Die haben ein viel besseres System!“ 

Amerikanische Highschool-Schüler stellen ihren Stundenplan weitgehend selbst zusammen. Sie können während der Schulzeit unterschiedliche Fächer ausprobieren. Bogomil ist sich sicher: “Das ist der Grund, warum die Amerikaner im Gegensatz zu uns beim Inskribieren an der Uni genau wissen, was sie studieren wollen.”

Vieles ist anders in Amerika: Die Schulen, die Verkehrsmittel, sogar die Supermärkte. Die riesigen Filialen von Wegmans konnte Bogumil erst gar nicht fassen. Wirklich beeindruckt ist er immer noch vom Vergnügungspark Elitches in Denver, mit dem Wasser-Park und den vielen Hochschaubahnen: „Ich wollte immer wieder fahren.” Bogomil ist überzeugt: “Ich bin mein ganzes Leben in keinem besseren Vergnügungspark gewesen.”

Freunde hat Bogomil nun auf der ganzen Welt. Die Mitschüler waren ihm gegenüber sehr aufgeschlossen: „Vermutlich war das cool – ein Ausländer zu sein.“ Einige Male war er auch an der Gehörlosen-Schule und lernte die Schüler dort kennen. Sogar zwei gehörlose Jugendliche aus Kamerun und Nigeria hat er kennen gelernt. „Es ist wirklich toll, gehörlose Menschen aus der ganzen Welt kennen zu lernen.”

Bestanden!

Insgesamt 10 bulgarische Schüler durften das Schuljahr 2017/18 mit YES in den USA verbringen. Während die Teilnahme an anderen Schüleraustausch-Programmen oft teuer ist, decken bei YES die Förderungen des amerikanischen Ministeriums die gesamten Kosten für Organisation und Vorbereitung, Anreise, wohnen und leben. Den Eltern bleibt es nur überlassen, den Austauschschüler mit entsprechend Taschengeld auszustatten. Daher ist es kaum verwunderlich, dass sich weit mehr Interessenten angemeldet hatten, als Plätze zur Verfügung standen.

Entsprechend hart war das mehrstufige Auswahlverfahren, bei dem aus allen Bewerbern die 10 Teilnehmer ausgesucht wurden. Nach der schriftlichen Auswahl-Runden, folgte ein Workshop und der vielleicht schwierigste Teil für Kandidaten mit Hörproblemen: “Ein Bewerbungs-Gespräch bei zwei Amerikanern. Die haben mir in kurzer Zeit so viele Fragen gestellt!” YES sagt behinderten Bewerbern besondere Unterstützung zu. Bogomil ist trotzdem froh: “Ich war echt froh mein CI zu haben, sodass ich da nicht erst einen Gebärdendolmetsch gebraucht habe.“

Autor: Eva Kohl, © Gehört.Gelesen 2017

Mit freundlicher Genehmigung des CIA und der Redaktion der Gehört.Gelesen


Auf Facebook gibt sich Bogomil Lubikov philosophisch und zitiert Søren Kierkegaard: “Das Leben kann man nur rückwärts verstehen, aber es muss vorwärts gelebt werden.”