"Alle Ärzte schreiben!"

Wissenschaftliche Publikationen und Untersuchungsberichte, Briefe und Reiseführer, Kinderbücher und Romane – es gibt verschiedene Anlässe zu schreiben. Der israelische HNO-Chirurg Prof. Dr. Jona Kronenberg nützt sie alle.

In einer 500 Quadratmeter - Wohnung in der Wiener Innenstadt, einst gestaltet vom ertaubten Architekten Adolf Loos, hat heute der Bridgeclub sein Domizil. Dort präsentierte im März 2017 Prof. Dr. Jona Kronenberg erstmals die deutschsprachige Übersetzung seines Historien-Krimis Der Schicksalsspeer.

 

„Ich habe 25 Jahre kein Deutsch mehr gesprochen!“ - Wer den Mediziner und Buchautor Kronenberg auf internationalem Parkett getroffen hat, versteht das als Bescheidenheit. Die Übersetzerin Alice Baar bezeichnet den weißhaarigen Autor im schwarzen Anzug als Brücken-Bauer zwischen der Geschichte und der Gegenwart, zwischen Judentum und Christentum, zwischen Palästina und Österreich. Nicht nur dem Genre des historischen Romans entsprechend, ist er auch Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Fiktion.

Das Schicksal Wien

Jona Kronenberg aus Israel reiste als junger Mann mit dem Schiff nach Triest und weiter mit dem Zug nach Wien, wo er „an einem kalten Abend im Dezember 1967“ ankam: „Wien war eine verschlafene Stadt – ich mochte die Lokale, das Essen, die Konditoreien.“ In Wien studierte er Medizin und arbeitete hier und auch im nahen Korneuburg als Arzt.

Dass er zum Studium nach Wien kam, war Fügung: „Sonst hätte ich meine Frau nicht kennen gelernt.“ Die Erstgeborene des Paars erblickte im Kaiser Franz Josef Spital das Licht der Welt. Später kehrte der Arzt mit seiner Familie nach Israel zurück, wo er an der Universitätsklinik Tel Aviv tätig war.

Hunderte Kinder und Erwachsene verdanken dem international renommierten Spezialisten für HNO-Chirurgie und Cochleaimplantate, dass sie hören - zahlreiche Kollegen weltweit greifen auf eine Operationstechnik zurück, die er entwickelt hat. Geblieben ist dem Mann mit dem bescheidenen Auftreten und der sympathischen Ausstrahlung sein Fable für Germknödel: „reichlich mit Powidl gefüllt und mit Mohn und Zucker bestreut“.

Wiener Melange

Schon auf Seite 18 von insgesamt 361 spannenden Seiten beschreibt der Schriftsteller seine bevorzugte Wiener Mehlspeise, doch: „Frisch gemachte Germknödel kann man leider nicht mehr finden.“ In seinem Lieblingskaffee in der Kärntnerstraße habe er aber noch das Gefühl, im Wien der Vergangenheit zu Gast zu sein.

Man könnte den Schicksalsspeer als ‚Wiener Mischung‘, als ‚Melange‘ bezeichnen: Die Wiener Version von Sakrileg des US-Amerikaners Dan Brown, mit einem Sahnehäubchen aus Der Name der Rose von Umberto Eco. In Der Schicksalsspeer wechseln in raschen Episoden verschiedene historische und aktuelle Schauplätze in Europa und im Nahen Osten. Die Handlungen sind politisch motiviert, kirchliche Bezüge werden hergestellt.

Auf die Frage, wann er zu schreiben begonnen habe, blickt der Autor erstaunt auf: „Alle Ärzte schreiben doch!“ Er spricht die wissenschaftlichen Publikationen an, welche Kliniker an Universitätskliniken ein Berufsleben lang verfassen.

Auch Prof. Kronenberg begann seine schriftstellerische Karriere im wissenschaftlichen Bereich: „Mein erstes Buch war ein Fachbuch!“ 185 wissenschaftliche Publikationen in englischer Sprache kennt das ‚Research Gate‘, populär-wissenschaftliche Beiträge nicht mitgezählt. Zwei medizinischen Fachbüchern folgten Kinderbüchern, ein Wien-Reiseführer und 2011 jener Roman zwischen Fiktion und Historie auf Hebräisch - die Übersetzung ins Deutsche war dem Autor ein besonderes Anliegen.

"Mich hat das Buch gezogen"

Schon 1968 weckte der französisch-britische Historienfilm Mayerling das Interesse des damaligen Studenten Kronenberg. Später spielte eine Reihe merkwürdiger Zufälle mit: „Wenn ich in Mayerling bin, werde ich wissen, warum ich da bin“, begab sich der Arzt mit einem Leihwagen an den Todesort des österreichischen Kronprinzen - rein zufällig an einem Mittwoch, 30. Jänner - „am Todestag Rudolfs“.

Mit der Unterstützung seines Freundes Prof. Dr. Wolf-Dieter Baumgartner und mit Hilfe der jüdischen Zahlenmystik Gematria sei ihm dann die Recherche gelungen: „In Heiligenkreuz habe ich den Grabstein von Maria Vetschera gefunden“ und „ungewöhnlich für einen Grabstein“ darauf den Spruch: ‚Wie eine Blume sprießt ein Mensch auf und wird gebrochen‘ – vielleicht ein Bezug zum Alten Testament, Buch Jona.

Hobby-Historiker

Der Schicksalsspeer war nach jüdischer Tradition in König Davids Besitz, nach christlicher Tradition stellte der Soldat Longinus den Tod Jesu damit fest. Er gehörte zu den Insignien des ‚Heiligen Römischen Reichs‘. Tatsächlich stammt der in der Wiener Schatzkammer ausgestellte Speer aus dem achten Jahrhundert, was seiner Mystik keinen Abbruch tut. Der Roman verknüpft Sagen mit historischen Fakten. „Kronprinz Rudolf hat tatsächlich Jerusalem und die Templer besucht“, erklärt Autor Prof. Kronenberg. Die ungelösten Rätsel rund um den Tod von Kronprinz Rudolf und seiner Geliebten, wie auch ungeklärte Fragen um die Ermordung von Kaiserin Elisabeth lassen Spekulationen zu. „Ich fühlte mich verpflichtet, die unerklärten Ereignisse zusammen zu bringen.“ Der Autor schmunzelt: „Das kann wahr sein so, oder nicht.“

Das Thema seines nächsten Buches ist für Hobby-Historiker Prof. Kronenberg noch offen: „Es gibt etliche ungelöste Probleme in der Geschichte, die mich reizen, mein Gefühl hinein zu bringen.“

Autor: Eva Kohl, © Gehört.Gelesen 2017

Mit freundlicher Genehmigung des CIA und der Redaktion der Gehört.Gelesen

 


Buch - Druckausgabe Paperback

Der Schicksalsspeer – Rätselhafte Macht im Hause Habsburg

von Jona Kronenberg, aus dem Hebräischen von Alice Baar

myMorawa 2016

ISBN 978-3-99049-526-1