Bücher über Bücher

Zur Zeit Friedrich Schillers gab es noch keine Jugendliteratur im eigentlichen Sinn. Trotzdem trifft sein Ausspruch „Heute ist die gute, alte Zeit von morgen“ auf die Jugendliteratur besonders zu, denn ihr ‚Goldenes Zeitalter‘ liegt sicher in der Gegenwart.

Jedes der in den vergangenen Ausgaben in dieser Rubrik vorgestellten Bücher ist als Lesestoff für Jugendliche geeignet, war aber ursprünglich für erwachsene Leser verfassst worden. Bücher waren ursprünglich für das gemeine Volk erst garnicht erhältlich, später zu teuer, um für Heranwachsende interessant zu sein. Erst spät begann man, spezielle Kinder- und Jugendbücher als Erziehungshilfe zu verfassen. Das fing natürlich schon bei den Bilderbüchern an: Wer erinnert sich nicht an die erzieherischen Geschichten des „Struwwelpeter“ von Dr. Heinrich Hoffmann? Nach den Erkenntnisen moderner Pädagogik heute verpöhnt, waren sie Mitte des neunzehnten Jahrhundersts hoch geschätzt.

Von ‚Literatur‘ sprach man damals aber noch nicht, wenn man Geschichten für Heranwachsende meinte. Im deutschsprachigen Raum widmete sich erst in der Zwischenkriegszeit mit Erich Kästner ein echter Literart auch den Jugendbüchern und in Österreich brach nach dem zweiten Weltkrieg die goldene Ära des Kinder- und Jugendbuches an. Untertützt wurde diese Entwicklung durch die Einführung des Österreischischen Kinder- und Jugendbuchpreises, sowie des Kinder- und Jugendbuchpreises der Stadt Wien. Zu den Gewinnern der ersten Jahre zählten namhafte Autoren wie der Wiener Prof. Karl Bruckner, der wie Kästner abwechselnd für Erwachsene und Kinder schrieb, oder Prof. Auguste Lechner, bekannt für ihre Nacherzählungen traditioneller Sagen, aber auch Mira Lobe, Vera Ferra-Mikura oder Prof. Käthe Recheis, um nur einige zu nennen.

Österreichische Jugendliteratur

Die im Vorjahr verstorbene Käthe Recheis beklagte in ihrer Dankesrede für das ‚Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst‘, das ihr 2001 verliehen wurde: „Als ich, vor nunmehr vier Jahrzehnten“, nämlich 1961, „mein erstes Buch veröffentlichte, waren Geschichten für Kinder nicht ‚literaturwürdig‘.“[i]Und doch hatte sie sich von Anfang an diesem Genre verschrieben, „weil ich daran glaube, dass es eine der prägendsten Formen der Literatur ist, und weil sie so vielfältig ist, dass ich, solange ich schreiben kann, nie an eine Grenze stoßen werde.“[ii] In dieser Vielfalt kommen bei ihr gerade auch kontroverse Themen wie Krieg, Naturschutz und das Leben der Indianer zur Sprache. So stammen aus ihrer Feder über 60 eigene Büchern zu verschiedensten Themen, 53 Übersetzungen aus dem Englischen und 13 Titel mit indianischen Originaltexten – einzelne davon auch als ungekürztes Hörbuch verfügbar. Zu ihrem Erbe zählt aber auch ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Indianerschulen, der im Rahmen eines Sozialwerks auch seh-, hör- und körperbeeinträchtigte Kinder in Bolivien betreut.

Käthe Recheis hat neben ihren eigenen Büchern auch an sieben Büchern gemeinsam mit anderen Autoren mitgewirkt, darunter das legendäre (und mittlerweile neu aufgelegte) ‚Sprachbastelbuch‘, dessen Autorenliste sich mit Namen wie Vera Ferra-Mikura, Mira Lobe, Prof. Friedl Hofbauer oder Prof. Lene Mayer-Skumanz wie das ‚Who-is-who‘ der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur 1975 liest. Bei der Arbeit zu diesem Buch gab sie einer jüngeren, noch etwas schüchternen Kollegin den freundschaftlichen Rat: „Du bist nicht so groß, dass Du Dich so klein machen musst.“[iii] Es handelte sich um die heutige ‚Präsidentin der Interessensgemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren‘, Prof. Renate Welsh. Auch sie greift immer wieder schwierige, häufig sozialkritische Themen für ihre Bücher auf. Im Gegensatz zu Recheis schreibt Welsh nicht explezite für Kinder. Vielmehr beobachtet sie Menschen, hört ihre Erinnerungen und dann erzählt sie einfach, ‚buchstabiert das Leben‘[iv], Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind dabei oftmals garnicht zufällig. Leider sind ihre Werke kaum als Hörbuch verfügbar, einzig die auch für jüngere Leser geeigneten Geschichten von ‚Vamperl‘ kann man in ungekürzter Version erwerben.

Ebenfalls am Sprachbastelbuch mitgearbeitet hat die damals noch junge Autorin Christine Nöstlinger, die neben oft sozialkritischen Kinderbüchern auch einige Mundartbücher und sogar drei Kochbücher veröffentlichte. Einige ihrer aktuelleren Kinderbücher sind als ungekürztes Audiobuch erhältlich.

Jugendliteratur aus Deutschland

Aber nicht nur Österreich kann hervorragende AutorInnen im Bereich der Jugendliteratur vorweisen, auch der Deutsche Michael Ende hat die Literatur um einige populäre Werke bereichert. Besonders bekannt wurde er durch die Verfilmungen von ‚Momo‘ und ‚Die unendliche Geschichte‘, wobei letztere so weit von der Buchvorlage abweicht, dass sie von Ende ausdrücklich abgelehnt wurde. Ende warnt in beiden Werken vor einer Welt, in der Phantasie und Menschlichkeit keine Rolle mehr spielen. ‚Die unendliche Geschichte‘ sei „die Geschichte eines Jungen, der seine Innenwelt, also seine mythische Welt, verliert in ... einer Lebenskrise, sie löst sich in Nichts auf, und er muss hineinspringen in dieses Nichts, das müssen wir Europäer nämlich auch tun. Es ist uns gelungen, alle Werte aufzulösen, und nun müssen wir hineinspringen, und ... eine neue Wertewelt aufbauen.“[v]Besagter Junge, der Protagonist Bastian, tut dies, indem er ein Buch liest – ein Märchen über das Nichts, dass die Welt Phantasien auffrisst – bis er schließlich Teil der Geschichte wird, an der Rettung Phantasiens Teil hat und zuletzt mit Mühe aus der Geschichte wieder in die Realität findet

Die Kraft der Phantasie, die reale Menschen in die Welt  des Buches eintreten lässt, findet sich als Motiv auch in Werken anderer –nicht nur deutschsprachiger-   Autoren wie in Salman Rushdies ‚Harun und das Meer der Geschichten‘, dem spanischen ‚Der Schatten des Windes‘, in ‚Die Stadt der träumenden Bücher‘ des Deutschen Walter Moers und bei der ebenfalls deutschen Jugendbuchautorin Cornelia Funke wieder. [vi]Ihre Tintenwelt-Trilogie ist ein Beispiel für hochwertige Jugendliteratur aus dem 21. Jahrhundert.

Die Welt der Cornelia Funke

Cornelia Funke wurde 1958 in Nordrhein-Westfalen geboren. Die ausgebildete Diplompädagogin arbeitete als Erzieherin und Buchillustratorin, bevor sie Ende der Achzigerjahre selbst zu schreiben began. Der Durchbruch gelang ihr mit dem 2000 erschienen Buch „Herr der Diebe“, das 2002 ins Amerikanisch übersetzt wurde. Der Roman ‚Tintenherz‘, erster Teil der ‚Tintenwelt‘, erschien 2002 bereits zeitgleich auf Deutsch und Englisch.

"Bücher müssen schwer sein, weil die ganze Welt in ihnen steckt“, so pflegt der Buchbinder Mo zu sagen. Er führt mit seiner Tochter Meggie, die ihn „Bücherarzt“ nennt, ein unruhiges Leben: immer wieder übersiedeln sie dorthin, wo alte Bücher von Mo geflickt weden möchten - so als wären sie auf der Flucht. Neben ihrem Vater ist eine rote Kiste Meggies ständiger Begleiter. Darin befinden sich die Bücher, die sie und ihr Vater so sehr lieben. Aber Mo erklärt ihr nie, warum er Meggie nicht vorlesen möchte. Und auch wohin Meggies Mutter verschwunden ist, bleibt lange ein Geheimnis...

Cornelia Funke sagt, Tintenherz sei eine Geschichte über ihre eigene Leidenschaft, „die Leidenschaft für Bücher, aber auch fürs Vorlesen“, von der sie anfangs nicht geahnt hätte, dass sie „ in meinem Kopf wachsen würde, bis sie mehr als ein Buch füllt.“ Einen besonderen Reiz stellen die Zitate aus der Weltliteratur dar, mit denen der Roman geradezu gespickt ist. Wie zufällig beginnt jedes Kapitel des Buches mit einigen Zeilen aus einem anderen literarischen Werk und macht Appetit auf´s Weiterlesen, weit über die Buchdeckel der 'Tintenwelt' hinaus.

2005 übersiedelte Funke mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann und den beiden gemeinsamen Kindern nach Los Angeles. Ihr Werk umfasst mittlerweile eine Vielzahl von Büchern, die bisher in rund vierzig Sprachen übersetzt wurden und zu denen auch die Buchfolgen ‚Die Gespensterjäger‘, ‚Die wilden Hühner‘ und ‚Reckless‘ gehören. Viele der Werken sind bei Oetinger audio, im Jumbo Verlag oder im Hörverlag als Audiobuch erschienen, darunter auch die ‚Tintenwelt‘.

Thematisch geht es bei Funke vorwiegend um die klassischen Alltagsthemen heutiger Jugendlicher – Liebe, Freundschaft und Eifersucht – und in der ‚Tintenwelt‘ eben auch um die Leidenschaft zu lesen.

Ende gut, garnichts gut?[vii]

Käthe Recheis plädierte in eingangs zitierte Rede auch für den Erhalt österreichischer Kleinverlage „der Farbigkeit, der Vielfalt wegen, unsere sprachllchen Eigenheite“ als „Ausdruck unserer Kultur“ zu pflegen, gerade am Bereich der Jugendliteratur, die ja unsere Gesellschaft prägt, denn, „.je größer ... der Raum wird, in den wir leben und schreiben, desto mehr muss der kleine Raum gepflegt werden“. Literatur im Dienste der Rehabilitation Hörbeeinträchtigter ist ein ungekürztes und tontechnisch hochwertiges Hörbuch notwendig. Gerade auch in diesem Bereich sind österreichisch geprägter Tonaufnahmen hilfreich. Die Tonaufnahmen der Tintenwelt sind eher theatralisch gestaltet, was Spannung erzeugt, aber leider zu einem leichten Stakato im Vortrag führt. Gepaart mit dem leicht bundesdeutschen Akzent ist die Tonaufnahmen als Hörtraining für Österreicher nur für fortgeschnrittene Implantat-Nutzer einsetzbar.

Der letzte Satz in ‚Tintentod‘: „Und alles war gut“ könnte ebenso dem Schlusssatz Joanne K. Rowlings Romanreihe ‚Harry Potter‘ entnommen sein[viii], wie dem wiederkehrenden Versende des ersten Schöpfungsberichts in der ‚Genesis‘. In Analogie dazu bildet ein Zitat von Oskar Wild das Ende dieser Zeilen: „Am Ende ist alles Gut. Und ist es nicht gut, so ist es nicht das Ende.“

[i] Dankesrede von Käthe Recheis, download von www.stube.at 9.2.2016 22:32

[ii] http://www.kaethe-recheis.at/ 9.2.2016 22:44

[iii] erzählt von Renate Welsh selbst im Rahmen eines von ihr geleiteten Schreibwerkstatt im Nov 2015

[iv] Vgl. Titel des Sonderhefts der ‚Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung“, Nov. 2007

[vii] Vgl. das gleichnamige Buch von Renate Welsh

 

Autorin: Eva Kohl , © Gehört.Gelesen 2016

Mit freundlicher Genehmigung des CIA und der Redaktion der Gehört.Gelesen

 

Tintenwelt in Bild und Ton

Gedrucktes Buch:

 

Tintenherz, gebundene Ausgabe, Verlag Dressler 2003, ISBN-10: 3791504657, ISBN-13: 978-3791504650;

 

Tintenherz, Oetinger Taschenbuch 2010, ISBN-10: 3841500129, ISBN-13: 978-3841500120

 

Tintenwelt - 3 Bände im Schuber, gebundene Ausgabe , Verlag Dressler 2011, ISBN-10: 3791504886, ISBN-13: 978-3791504889

 

E-Book:

 

Tintenherz, Kindl-Edition, ASIN: B00AF0GNPG

 

Tintenherz, Format EPUB, Verlag Dressler, EAN/ISBN-13: 9783862722716, ISBN-10: 3862722716

 

Audiobuch:

Alle von Goya libre / JUMBO Neue Medien & Verlag GmbH, 2008-2012

 

Tintenherz, ungekürzt Hörbuchdownload, ASIN: B002TVZ8XC; Audio-CD ISBN-10: 3833714212, ISBN-13: 978-3833714214

 

Tintenherz / Tintenblut / Tintentod, ISBN-10: 383370036X, ISBN-13: 978-3833700361

 

Die ganze Tintenwelt (inkl. Tintenherz)

Audio-CD ISBN-10: 3833725052, ISBN-13: 978-3833725050;

MP3 Goya libre 2012, ISBN-10: 3833729821, ISBN-13: 978-3833729829

Große Namen

Ein Überblick über die ganz Großen der deutschsprachigen Zwischenkriegs-, Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur für Kinder und Jugendliche

Erich Kästner 1899-1974, 1927 erscheint das erste Buch für Erwachsene, 1929 das erste Kinderbuch

Prof. Auguste Lechner 1905-2000, schrieb ab 1936

Prof. Karl Bruckner 1906-1982 ab 1948 Erwachsenen- und Kinderbücher

Vera Ferra-Mikura 1923-1997, Kinderbucherscheinungen ab 1946

Mira Lobe 1913-1995, erste Bucherscheinung in Hebräisch 1948, 1951 erste deutschsprachige Erscheinung

Prof. Friedl Hofbauer 1924-2014, ab 1960 Kinder- und Erwachsenenbücher

Prof. Käthe Recheis 1928-2015, erste Bucherscheinung 1961

Prof. Lene Mayer-Skumanz geb. 1939, Bucherscheinungen ab 1965

Prof. Renate Welsh geb. 1937, schreibt seit 1969

Christine Nöstlinger geb. 1936, schreibt seit 1970, ab 1974 auch Bücher in Mundart. Außergewöhnlich sind ihre 3 Kochbücher

Michael Ende

Cornelia Funke