Wiener Kaffeekultur

Wien ist schwarz! – Oder zumindest braun.

Das soll keinesfalls ein politisches Statement sein: Vielmehr ist Schwarz die Couleur des wiener Lieblingsgetränks, des Kaffees.

Dabei ist der Kaffee ja eigentlich garnicht aus Wien. Eigentlich ist das ja ein weit Gereister, ein Migrant sozusagen. Angeblich haben die Türken den Kaffee bei der Belagerung von Wien mitgebracht und beim etwas ungeordneten Abzug dann einfach vergessen. Sonst haben wir uns erfolgreich gegen den ungewollten Zuzug der Osmanen gewehrt, aber Kaffee und Kipferl sind geblieben.

Es kann aber auch sein, dass der Kaffee ganz ohne Belagerung einfach schwarz, also ohne Milch, über eine der damals unbewachten „Grünen Grenzen" ins Land kam - so wie die Bibeln auf einem Schmugglerweg durch die Alpen geschleppt wurden, der jetzt zum Pilger- und Weitwanderweg gemacht wurde, der „Weg des Buches“. Vielleicht wird man im östlichen Österreich bald schon einen „Weg der Bohne“ entdecken – wer weiß.

In Wien ist das Kaffeetrinken ja geradezu ein Muss. Wenn ein junges Paar hier einen Haushalt gründet, dann brauchen die beiden unbedingt ein Kaffeeservice. Ein Teeservice kann man auch haben, aber das Kaffeeservice MUSS man haben. Und wenn es ganz vollständig sein soll, dann müssen auch noch die kleinen Tassen dazu, die Mokka-Tassen.

Die Italiener nennen die ja Espresso-Tassen. Die Italiener teilen die Leidenschaft für Kaffee. Die Wiener haben es nicht geschafft, den Tirolern beizubringen, wie man eine ordentliche Melange brüht, aber die Italiener waren mit ihren Lehrkünsten deutlich erfolgreicher. Zumindest kann man im Land des Adlers überall einen Cappuccino bestellen, ohne enttäuscht zu werden. Und wenn es schnell gehen muss, dann nimmt man da wie dort halt die kleinen Tassen und füllt sie rasch aus der Espressomaschine.

Es gibt also die Wiener Melange und den italienischen Cappuccino oder den Espresso. Und dann gibt es auch noch den Türkischen Kaffee. Türkischen Tee gibt es auch, natürlich, und das sogar in jedem österreichischen Supermarkt. Türkischen Kaffee gibt es in Wien nicht. Das wäre ja noch schöner! Es reicht ja, wenn uns die türkischen Gastarbeiter die Beserlparks und die Fußballplätze streitig machen. Aber: „Die Kaffeehäuser den Wienern!“, diese Forderung muss klar sein.

Den Türkischen Kaffee trinken wir dann einfach im Urlaub am schwarzen Meer, in der Türkei oder in Bulgarien. Die Bulgaren waren ja lange genug von den Türken belagert, also gibt es in Bulgarien auch überall Türkischen Kaffee. Oder auch in Kroatien, in Bosnien, in Griechenland,... In Griechenland sollte man aber nur dann Türkischen Kaffee bestellen, wenn man unter Depressionen leidet, aber zu feig für einen Suizid ist. In Griechenland bestellt man einen „Griechischen Kaffee“, ist ja klar. Türkischer Kaffee, Griechischer Kaffee, Kroatischer Kaffee – wir könnten ja einfach vom „Balkan-Kaffee“ sprechen, aber seit dem Bürgerkrieg in den Neunziger-Jahren will das auch niemand mehr hören.

Egal, Hauptsache wir wissen, wie man dieses kräftige, dickflüssige Bohnenelixier zubereitet: Der richtige Kaffee, wie ihn die Türken und die von ihnen früher besetzten Volksgruppen trinken, wird nicht durch einen Filter verdünnt oder im kalten Zustand nur durch Druck gewonnen. Für den richtigen Kaffee gibt man ein wenig frisch gemahlenes Pulver in ein spezielles Kochgeschirr, einen hohen Schnabeltopf mit langem Griff. Dann kommt etwas Wasser dazu und genug Zucker, der das manchmal bittere Leben versüßt. Und dann muss das alles aufkochen, langsam, damit es ja nicht übergeht. Das dauert zwar seine Zeit, aber gut Ding braucht Weile und ein echter Kenner kocht seinen Kaffee sowieso zwei oder drei Mal auf. Dann wird die schwarze Brühe in winzig kleine Tassen verteilt – Kaffee soll man ja am besten gemeinsam genießen. Davor muss man ihn aber noch etwas stehen lassen, damit sich das Kaffeepulver als Sud absetzt. Wer zu hastig trinkt oder gierig noch den letzten Tropfen leeren will, wird bitter bestraft – durch bitteres Kaffeepulver im Mund. Wer dem Kaffee den nötigen Respekt zollt und sich entsprechend Zeit nimmt, der kann im Anschluss seine Zukunft aus dem übrig gebliebenen Sud lesen.

Türkischer Kaffee braucht Zeit, braucht Ruhe - braucht Urlaub?

Wenn ich auf Reisen bin, nehme ich immer gern ein Souvenir mit nach Hause. Eine Erinnerung, die meinen Aufenthalt in der Fremde in den Alltag hinein verlängert. So dachte ich, den einen oder anderen stressigen Arbeitstag oder gar die Arbeitswoche mit dem Genuss einer Tasse Türkischen Kaffees zu beschließen wäre fein. Das schwarze Pulver gibt es ja auch bei uns, braucht es also nur dieses spezielle Geschirr. Wer weiß, ob der Kaffee in einem normalen Topf überhaupt so hinzukriegen ist. Im Souvenirladen gibt es keinen Kaffeetopf, in den Geschäften der schicken Einkaufsstraßen auch nicht. Nach so mancher Reise auf den Balkan kam ich ohne zurück. Es dauerte also einige Jahre und viele, viele Marktbesuche, bis ich endlich einen Kaffeetopf aus getriebenen Kupfer erstand. Endlich ein Stück Balkan nach Wien heim bringen. Stolz präsentierte ich das gute Stück der Familie. Genussvoll schlürften wir die braune Brühe aus den kleinen Tassen. Und zur Feier des Tages schlossen wir noch einen kurzen Spaziergang durch die engen Gassen meines wiener Wohnbezirks an. In einem verstaubten, altmodischen Küchenwarengeschäft gleich ums Eck sah ich es dann, das Mokka-Service mit Tassen, Löffeln und natürlich mit der passenden Mokka-Kanne aus getriebenem Kupfer.

Der Balkan reicht also doch bis nach Wien.

© Eva Kohl 2016