Ein Offizier und Gentleman

Als Zivilist und noch dazu als Frau ist es eher ungewöhnlich, einen Begleitoffizier zur Seite gestellt zu bekommen.

Das erreichen eigentlich nur Bergsteigerinnen wie Gerlinde Kaltenbrunner und Konsorten, die diesen Begleitoffizier dann aber auch mit den anderen Mitgliedern der Gruppe teilen müssen. Ich hatte unlängst die Ehre, zum Ausräumen meines Kofferraums einen eigenen „Begleitoffizier“ angewiesen zu bekommen. Bei Bussi-Bär wäre diese Erzählung wohl eingeleitet mit den Worten „Strubbelpeter, Schnatterliese, die Geschichte, die war diese“:

In den 50ern des vorigen Jahrhunderts wurde die Betreuung Hörbeeinträchtigter in ganz Europa, so auch im ehemaligen Jugoslawien, in eine neue Ära geführt. So feierte im Jahr 2011 die SUVAG Zagreb, eine Vorzeigeeinrichtung zur Diagnostik, Therapie und Pädagogik Hörbeeinträchtigter, das 50jährige Jubiläum. Die SUVAG hat sich vor allem durch die Integration der Verbotonalen Therapie mit ihren musikalischen und rhythmischen Elementen in ihr Therapiekonzept einen Namen gemacht. Sie ist mit ihrem Diagnose- und Therapieangebot auch ein unverzichtbarer Bestandteil der kroatischen CI-Landschaft.

Heuer war dann in Slowenien die Freude groß, denn 2012 jährte sich Bestehen der Schwerhörigenschule und –ambulanz in Marburg zum 50. Mal. Unweit der steirischen Landeshauptstadt Graz ist vor einem halben Jahrhundert ein Zentrum entstanden, welches flankiert von den beiden jüngeren Zentren in Ljubljana und Portoroz ein umfassendes Diagnose und Therapieangebot, sowie eine Sonderschule für Schwerhörige und mehrfach Beeinträchtigte mit Hör- oder Sprachbeeinträchtigung anbietet. Und ebenso wie die SUVAG in Kroatien war das Zentrum in Marburg seit Einführung der Cochlea Implantation in Slowenien maßgeblich am dortigen CI-Projekt beteiligt. Dem Anlass entsprechend wurden bei der Jubiläumsveranstaltung am 29. und 30. Mai kein Schwerpunkt in neuen Erkenntnissen der Wissenschaft und Forschung gesetzt und auch die anwesenden Firmen hatten nur in den Pausen Möglichkeit, den Anwesenden beim Kaffeetratsch am Stand Ihre Neuigkeiten zu präsentieren. Vielmehr wurde unter anderem in einem sehr gelungenen Filmbeitrag die breite Arbeit des „Center za Sluh in Govor Maribor“ und deren positive Auswirkung auf das Leben der betroffenen Familien vorgestellt.

Was hat das alles mit einem Begleitoffizier zu tun?

Dem feierlichen Anlass entsprechend wurde der Schule vom Staat die örtliche Militärakademie als Veranstaltungsräumlichkeit zur Verfügung gestellt. Das historische Gebäude war in den Jahren 1853 bis -56 als damals größtes Militärgebäude der österreichisch-ungarischen Monarchie erbaut worden und ist heute das älteste historische Gebäude Marburgs. Da ich als Vertreterin eines der Sponsoren auch einen Ausstellungsstand vorbereiten sollte, fuhr ich schon einige Zeit vor Beginn der Veranstaltung an, um in Ruhe aufzubauen und danach noch genügend Zeit zur Erfrischung zu haben. Doch da hatte ich natürlich nicht an die strengen militärischen Richtlinien eines Heeresgebäudes gedacht: Ohne die offizielle Liste aller angemeldeter Teilnehmer vorliegen zu haben, durfte die Portiersdame (ja, richtig gelesen: eine Dame beim Militär) niemanden einlassen und selbst nach Eintreffen der Veranstalter wurde mir als „ausländischem Gast“ den militärischen Gepflogenheiten entsprechend ein Soldat zur Seite gestellt – der mir dann freundlicher Weise beim Tragen der Ausstattung half und so meine Arbeit im wahrsten Sinn des Wortes wesentlich erleichterte. Erst als ich alles Material im Veranstaltungsbereich hatte und so nicht mehr ständig quer durchs Gebäude huschen musste, und auch mit einem offiziellen Namensschild versehen war, verabschiedete sich der freundliche Vertreter des Slowenischen Wehrdienstes und widmete sich wieder dem Tagesgeschäft…

© Gehört.Gelesen Nr. 48 Oktober 2012 Seite 50