Ein Brief aus dem Urlaub



Umag, den 25. Juli 1998

Lieber Chef, liebe KollegInnen,

Ich möchte Euch hiermit ganz, ganz liebe Grüße aus meinem Urlaub senden. Ich hoffe, Ihr vermisst mich schon recht, wenngleich ich gestehen muss, dass ich bisher nicht viel Zeit und Gelegenheit hatte, an die Arbeit und damit auch an Euch, meine Lieben, zu denken.

 

Nun, Ihr seid sicher schon sehr neugierig, von meinen Erlebnissen zu hören –bzw. zu lesen- und ich will Euch nicht länger auf die Folter spannen. Mit meinem Bericht beginne ich am Besten schon bei der Anfahrt:

 

Ursprünglich wollten wir ja eine Woche an der adriatischen Küste Sloweniens verbringen. Die Fahrt dorthin war wirklich ein Genuss, das Bergpanorama hätte uns schon fast vor Erreichen des Meeres gestoppt, aber schließlich wollten wir ja auch ein wenig Sonne tanken, also haben wir an unserem Vorhaben, an den Strand zu fahren, festgehalten und uns nur ganz fest vorgenommen, uns doch auch die Zeit für ein oder zwei Ausflüge ins Landesinnere zu nehmen – da wir mit dem eigenen Auto unterwegs sind, schien das weiter kein Problem zu sein.

Nun, es war schon Nachmittag, als wir dann an der slowenischen Küste ankamen – ich glaube, das war bei Koper oder bei Portoroz. Na, was uns da erwartet hat, war doch ganz anders, als ich Badeurlaub aus Italien oder Griechenland gewohnt war: Schon am Ortseingang wurde unser Auto von der Polizei gestoppt und nur unter dem Hinweis, dass wir ja zum Hotel zufahren wollten, um unser Gepäck auszuladen, durften wir ausnahmsweise passieren – und da auch nur mit der strengen Weisung, den Wagen nach dem Ausräumen sofort wieder aus der Stadt zu fahren und dort zu parken.

Die Straßen und Gassen der an sich netten und fotogenen Ansiedlung waren überfüllt von Touristen. Wir begaben uns also rasch auf Zimmersuche, was sich angesichts der großen Konkurrenz anderer Urlauber als ziemlich schwierig erwies. Offensichtlich wollten alle slowenischen Städter ausgerechnet hier und jetzt ihr über den Krieg mühsam zusammen gehaltenes Erspartes an den Mann oder besser an den Zimmervermieter bringen – entsprechend rar und zu überhöhten Preisen wurde uns Unterkunft geboten. Also verfrachteten wir unsere Koffer und Taschen kurzerhand wieder in den Kofferraum und suchten das Weite.

So viel also zu unserem Slowenien-Urlaub.

 

Nun folgte der groteske Teil unseres Abenteuers: Nach nur wenigen Minuten Fahrt näherten wir uns der Slowenisch-Kroatischen Grenze. Der Grenzübergang wirkte kaum befahren. Es begann schon leicht zu dunkeln. Da standen wir nun vor dem Schranken, der zwei Länder voneinander trennt, die noch vor kurzem zwei Bundesländer gewesen waren. Ihr müsst Euch das einmal bildlich vorstellen: Ihr macht Winterurlaub in Mönichkirchen am Wechsel, wegen des ungewöhnlichen Schneemangels wollt Ihr aber die wenigen Kilometer zum nächsten Hang gelangen. Ihr fährt also von Niederösterreich in die Steiermark, und auf der Passstraße verhindert plötzlich ein rot-weiß-gestrichener Schranken die Weiterfahrt – Ihr müsst den Reisepass und die Autopapiere herzeigen, dann verlangt ein Beamter den Inhalt des Kofferraums zu sehen. Und erst nachdem noch der Computer eingehend um Rat befragt wurde und der grimmige Herr in Uniform seinen Stempel in Euren Pass geknallt hat, dürft Ihr weiter zur Rodelbahn nach St. Corona.

Ungefähr so habe ich die Grenzkontrolle am Übergang von Slowenien nach Kroatien empfunden. Bei der Passkontrolle hätte man wirklich meinen können, wir stünden zur Blütezeit der Sowjetunion am Eisernen Vorhang. Ein österreichisches Paar, welches auf diesem verlassenen und einsamen Weg kroatischen Boden zu betreten versucht, muss hier wirklich als sehr verdächtig gelten.

 

Doch kaum hatten wir die Grenze hinter uns und ich die Erinnerung daran verdrängt, begann ich den Urlaub wirklich zu genießen. Die Straßen hatten wieder ländlichen Charakter angenommen, es waren kaum Menschen unterwegs, die einsame Landschaft, die wir hier querten, strahlte eine ungewöhnliche Ruhe aus. Wenige Kilometer südlich von Umag entdeckten wir eine kleine Bungalow- und Campingbus-Siedlung abseits des Weges. Dort mieteten wir uns für wenig Geld in eines der Häuschen ein. Ein Schlafkabinett, ein Wohnraum mit einer Couch und eine einfache, doch voll ausgestattete Küche, und was noch viel wichtiger war: ein Garten, der wie der mit seinen Bäumen und seinen mächtigen Rosmarin-Büschen wie ein verwunschene Schlosspark eines Bauern-Dornröschens wirkte, durchaus gepflegt und doch verwuchert und irgendwie „wild“. Die Zahnbürsten der Besitzer konnten wir aus den verschlossenen Schränken im Vorraum blitzen sehen. Warum sie dieses Paradies wohl lieber vermieteten, anstatt es selbst während der Sommermonate zu nutzen? Am nächsten Morgen erkannten wir die Ursache: Rund um das Areal waren lauter kleine, harmlos scheinende Tafeln aufgestellt, verziert mit einem Totenkopf und der Aufschrift „Minen“. Könnt Ihr Euch das vorstellen?!: Nur etwas weniger als fünf Fahrstunden von Eurer Wohnung entfernt – das ist näher als Vorarlberg - liegen Tretminen im Wald herum!!! Ich bin jetzt noch froh, dass wir keine Kinder haben, die ich hier von verlockenden Robin Hood-Spielen im Eichenwald abhalten muss.

 

Ja, Ihr habt richtig gelesen, hier gibt es direkt an der Küste große Wälder. Die mediterrane Eiche unter-scheidet sich optisch kaum von ihren Verwandten in den österrei-chischen Fors-ten, doch kommt sie offensichtlich mit dem hiesigen Klima zurecht und sie zeichnet sich durch extrem lange Wurzeln aus, mit deren Hilfe sie sich auch während der dürren Sommermonate mit ausreichenden Mengen an Wasser und Mineralstoffen versorgen kann. Ansonsten sieht es hier ganz so aus, wie man sich die kroatische Küste vorstellt – karstig, felsig, von Sandstrand keine Spur, aber dafür ideal zum Schnorcheln und Bootfahren.

 

Unser Bungalow liegt, wie schon erwähnt, in einer kleinen Feriensied-lung, die unseren Kleingarten-siedlungen ähnelt.

Da wir am Vortrag relativ spät angekommen waren, hatten wir außer dem Fischrestaurant, dem einzigen Lokal weit und breit, noch nichts kennen gelernt. Also unternahmen wir am Morgen des ersten Tages einen ausgedehnten Spaziergang durch die Gartenanlage und am Strand endlang. Als wir zurückkamen, war einer unserer Nachbarn gerade dabei, sein kleines Motorboot unter Zuhilfenahme einer Rolle zum Strand zu bugsieren. Michael sah die Bemühungen und sprang ihm gleich zu Hilfe – vielleicht auch im Hinblick darauf, dass in wenigen Stunden wir in einer ähnlichen Situation sein würden. Bar einer gemeinsamen Sprache verständigten sich die Beiden mit wilden Gesten, transportierten aber doch das Boot gemeinsam bis zum Meeresrand und ließen es dort sanft ins Wasser gleiten. Dann standen sie da, die Zehen tief zwischen den Steinen des Meeresbodens gegraben und betrachteten stolz ihr gemeinsames Werk. Während die Salzwasser-wellen den unteren Rand ihrer Short leckten, schüttelten die beiden Männer einander die Hand – eine wortlose Freundschaft ward geboren.

Wenig später erreichten wir unser Auto und wollten sogleich ans Werk gehen, den Wagen etwas näher an den Strand zu fahren, um dann dort unser eigenes Boot aufzubauen und zu Wasser zu lassen. Doch eigenartiger Weise reagierte die Zentralverriegelung in keiner Weise auf die Funksignale der Fernbedienung. Nach einigen Überlegungen waren wir gewiss, dass der Schlüssel bei der „Hilfsaktion“ feucht geworden sein musste. Eigentlich konnte man optisch keine Nässespuren erkennen, aber es war die einzige Erklärung, die uns einfiel. Also öffneten wir das Auto mit dem Schlüssel direkt und trugen die Bootsteile einzeln an den Strand – der Motor blieb blockiert, da wir die Zentralverriegelung ja nicht lösen konnten. Nun, das sollte kein Problem sein, denn bis zum Abend hatte der Schlüssel ja Zeit, in der Sonne zu trocknen. Am Ende des Tages wollten wir nach Umag in die Stadt hinein fahren, Karten kaufen, Lebensmittel für das Frühstück und den nächsten Mittagssnack besorgen und natürlich zu Abend essen.

Das Boot war rasch zusammen gebaut und in Gang gesetzt. Wir genossen die Sonne, die Wärme und die Ruhe. Am späten Nachmittag versuchten wir dann nochmals die Fernbedienung zu aktivieren – wieder ohne Erfolg. Als Technikerin konnte ich das ja nicht einfach so zulassen, also öffnete ich das Gehäuse, um eventuelle Salzrückstände von Platine und Elektronikbauteilen zu entfernen – bloß da waren keine Rückstände. Trotzdem verweigerte das Teil seinen Dienst. War unter den Einflüssen von Feuchtigkeit und Hitze vielleicht doch die Batterie unvermutet leer geworden? Uns blieb also nichts anderes übrig, als des Abends nochmals Fisch zu essen. Morgen war auch noch ein Tag!

 

Der nächste Morgen hat die Situation jedoch nicht geändert. Und auch die Servicestelle in Österreich, zu der wir telephonisch Kontakt aufnahmen, konnte uns keinen anderen Tipp geben, als jenen, eine lokale Werkstätte aufzusuchen.

unser neuer Freund, der Nachbar mit dem Boot, bemerkte rasch, dass wir ein Problem hatten, doch er verstand nicht, welches. Also lotste er uns kurzentschlossen einige Gassen weiter zum Campingwagen seiner Schwester. Die Kroatin sprach perfekt Englisch. Nicht weit von Umag, in Koper, jenseits der slowenischen Grenze, würde man uns sicher helfen können. Sie kontaktierte die Werkstätte – glücklicher Weise sprach sie auch slowenisch - und vereinbarte einen Termin für uns und ihr Bruder brachte uns über die Grenze nach Koper – wo man uns bestätigte, dass die Batterie der Fernbedienung in Ordnung war, die Elektronik jedoch neu auf den Code der Zentralverriegelung programmiert werden müsse - was nur mit dem Auto gemeinsam ginge. Wie weit der Wagen denn entfernt sei? Nun, die Entfernung war nicht das Problem, aber die Grenze, die zwischen dem Auto und der Werkstätte lag, jener Grenzbalken zwischen zwei ehemaligen Bundesländern, entwickelte sich zusehends zu einem ernst zu nehmenden Hindernis. Das Gerät, das unseren Wagen wieder fahrtauglich machen konnte, konnte aus Zollgründen nicht nach Kroatien gebracht werden und einen Abschleppdienst, der unseren Wagen nach Slowenien transferieren würde, würden wir aus denselben Gründen nicht finden können. Manche Landesgrenzen sind reale Barrieren!

Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als Freunde anzurufen, sie zu bitten, in unserer Wohnung den Zweitschlüssel des Wagens zu suchen, und ihn auf schnellstem Weg in die Feriensiedlung nach Kroatien zu senden.

Mittlerweile ist unser Urlaub fast um und wir warten immer noch auf den Schlüssel. Wir haben es uns in der Zwischenzeit nett eingerichtet. Wir fahren jeden zweiten Tag in Badehose und Bikini mit dem Motorboot in die nächstgelegene Stadt und legen dort mit unserem Schlauchboot zwischen den großen Motorjachten am Kai an. Dann nehmen wir unsere Kleidung aus den wasserfesten Plastiktüten und machen uns auf der Uferpromenade stadtfein. So können wir doch noch die Touristenhighlights Umags kennen lernen – und mittlerweile sind wir wohl für die Anrainer auch schon selbst zur Sehenswürdigkeit geworden.

 

Jetzt habe ich nur noch eine kleine Bitte an Dich Dan als meinen Chef.

Wir haben wirklich alles versucht, um möglichst rasch einen Ersatzschlüssel zu organisieren: Die Post benötigt von Wien nach Umag etwa eine Woche. Manchmal kann man Fernfahrern ein Paket zum Transport mitgeben, doch von der Mitfahrerzentrale haben wir erfahren, dass im Laufe der nächsten Woche niemand mehr nach Kroatien zu fahren plant. Es herrscht zwar schon seit einiger Zeit Waffenstillstand hier, doch bei den Transportbetrieben gilt Kroatien eben immer noch als Krisengebiet. Seit einiger Zeit gibt es in Österreich auch eine Anzahl verschiedener privater Expressdienste, die sich rühmen, europaweit oder sogar weltweit binnen 24 Stunden zuzustellen – leider scheint Kroatien aber nicht auf deren Globen eingezeichnet zu sein und schon gar nicht als ein Teil Südeuropas, denn nach Kroatien dauert die Auslieferung durchwegs bei allen Systemen eine Woche. Nach einigem Nachfragen haben wir dann erfahren, dass die verschiedenen Paketdienste nach Kroatien einen gemeinsamen Spediteur nutzen, der eben nur einmal wöchentlich arbeitet – den Express-Paket-Dienst der Post, genannt EMS. Die gute, alte, staatliche Post ist also scheinbar die einzige Transportorganisation, die es wagt, ihren Fuß auf das Gebiet dieses vom Bürgerkrieg erschütterten Landes zu setzen.

Nun, unser Auto können wir zurzeit nicht starten, öffentlichen Verkehr gibt es hier so gut wie keinen und Michael kann das Auto auch nicht einfach bis zum nächsten Urlaub hier stehen lassen. Deswegen bitte ich Dich, meinen Urlaub um eine weitere Woche zu verlängern.

Bitte teile mir Deine Entscheidung mit, sobald ich wieder im Büro bin – hier bin ich ja nicht erreichbar.

 

Mit lieben Grüßen an die fleißigen Bienen im Office,

ganz die Eure.

 

Ob der Chef sich über ein derartiges Missgeschick belustigt gefühlt hat oder ob er den Inhalt des Schreibens für eine gelungene Ausrede hielt, wird man nie erfahren. Augenzeugenberichten zur Folge soll er beim Lesen in lautes Gelächter ausgebrochen sein. Die Mitarbeiterin jedenfalls hat nach dem Urlaub weiter mit viel Einsatz und Engagement bis zur Auflösung des Betriebs das dortige Team verstärkt.

© Eva Kohl 2006