Wie die Türken heute wählen

Zwei Seiten einer Medaille: Die römischen Ausgrabungen, die Mosche und...
Zwei Seiten einer Medaille: Die römischen Ausgrabungen, die Mosche und...
...die orthodoxe Kirche bei der Metro-Station Serdika in der Hauptstadt Sofia
...die orthodoxe Kirche bei der Metro-Station Serdika in der Hauptstadt Sofia

Die Politik in der Türkei wird von Mitteleuropa aus kritisch beobachtet, eine mögliche Wahlbeteiligung der Auslandstürken beim kommenden Referendum ebenso kritisch diskutiert. Kaum bemerkt von Mitteleuropa wählt heute Bulgarien - ein Land, das lange Zeit unter türkischer Obrigkeit stand. Welche Verflechtungen mit der Türkei dabei eine Rolle spielen werden, zeigt ein Lokalaugenschein.

Bulgarien, ein kleines Lokal, ein starker Kaffee. Im Plauderton werden Neuigkeiten ausgetauscht. „In Österreich diskutiert man jetzt viel, weil türkische Politikern in Österreich für das anstehende Referendum der Türkei werben wollen. Ihr habt doch auch viele türkische Mitbürger – wie sieht man das hier?“, so meine ehrlich interessierte Frage. Mein Gesprächspartner wirft einen verunsicherten Blick zu den Nachbartischen rechts und links: „Pst, nicht so laut.“

Bulgarien, ein anderer Kaffee, ein anderer Gesprächspartner. Im Plauderton kommt man auf die internationale Politik zu sprechen. Mir liegt wieder meine Frage auf der Zunge – ich verwerfe den Gedanken. Überrascht höre ich: „Bei uns werden voraussichtlich die Türken bei der Wahl den Ausschlag geben.“ Das „bei uns“ ist relativ – mein Gesprächspartner ist Auslandsbulgare, zu Besuch in der Heimat.

Die Urenkel des Osmanischen Reichs

Seit Ende des 14. Jahrhunderts gehörte Bulgarien zum Osmanischen Reich – oder wie meine Freunde in Bulgarien es formulieren: „Seit dem 14. Jahrhundert von den Türken besetzt und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befreit.“ Eine Befreiung, der viel Blutvergießen voran ging. Unzählige niedergeschlagene Aufstände. Und letztlich ein Friede, der das Land in Stücke riss – so sieht es

das kollektive Bewusstsein und die Geschichtsschreibung Bulgariens.

Das Miteinander der Osmanen und Bulgaren wird unterschiedlich betrachtet – sichergestellt ist, dass die Osmanen von den Bulgaren keine Assimilation verlangten. Kultur und Religion durften weiter gepflegt werden, wenn auch mit Einschränkungen. Letztlich war die Religion auch bei den Befreiungskämpfen nicht unbedeutend. Trotzdem nahmen auch einige Bulgaren den Islam an – bulgarisch sprechende Moslems werden ‚Pomaken‘ genannt.

Auch nach Gründung der konstitutionellen Monarchie blieben viele islamische Familien im Land – als Bauern waren sie oft im Grund und Boden ihrer Äcker verwurzelt. Die größte Mosche Bulgariens steht heute im Nordosten des Landes, in Schumen, doch auch im Gebiet um die kleinste Stadt Bulgariens im Südwesten des Landes, rund um Melnik, leben immer noch türkische Familien.

Miteinander - nebeneinander

Kurz nach der Jahrtausendwende in Wien. Ganz Europa trägt Schaltücher. Wir suchen ein Geschenk für eine junge Bulgarin. Ein modisches Schaltuch in bunten Farben. Keine gute Idee: „Ich bin keine Türkin!“ Ein Einzelfall?

Sofia, die Hauptstadt Bulgariens. Ich suche ein bestimmtes Geschäft, von dem ich weder Name noch Adresse kenne – doch es liegt gegenüber der Mosche. „Mosche? Gibt es in Sofia nicht!“ Ich brauche einen Reiseführer für Touristen und einen Stadtplan, um dem Taxifahrer zu zeigen, wo ich hin möchte. Knurrend setzt er mich zwei Blocks vor der Mosche ab.

Türkischer Kaffee und türkisches Kebab – Bulgariens Kulinarik und Kultur ist türkisch geprägt. „Bulgarien kennt keinen Rassismus. Bei uns hat es auch kein Juden-Prognom gegeben“, so mein Gesprächspartner, der selbst nicht mehr in Bulgarien wohnt. „Erst als die Kommunisten in der wirtschaftlichen Krise der 70er- und 80er-Jahre einen Sündenbock gebraucht haben, hat man die Türken verfolgt und aus dem Land getrieben.“ Hunderttausende flohen. Die vertriebenen Türken und Pomaken leben seither in der Türkei – und fühlen sich immer noch als Bulgaren: die bulgarische Minderheit in der Türkei. Die, die trotzdem geblieben sind, bilden heute die türkische Minderheit in Bulgarien – über acht Prozent der Gesamtbevölkerung oder etwa 700.000 Personen.

Der Kampf um die entscheidende Stimme

Seit dem Ende des Kommunismus blüht eine bunte Parteienvielfalt in Bulgarien. Die liberale ‚Bewegung für Rechte und Freiheiten‘, DPS, vertritt die türkische Minderheit, aber auch Roma und Pomaken. Schon 1992 erklärte der ehemalige Geheimdienstoffizier Radoslaw Rajkow in einem Interview, das der Parteiführer der DPS, Ahmed Demir Dogan, in den 70ern vom bulgarischen Geheimdienst angeworben worden sei. Jenem Geheimdienst, der wenig später die türkische Bevölkerung unterdrückt und vertrieben hatte. 2013 wurde Dogan abgelöst.

Die Politik der Partei war anfangs Türkei und Russland zugewandt. Mehrere Jahre hindurch war sie Koalitionspartei in der bulgarischen Regierung. Bereits 2010 scheint es zu Distanz zum türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan gekommen zu sein. Nunmehr spaltete sich aus der DPS eine zweite Minderheitenpartei ab, die pro-türkische, liberale Vereinigung ‚für Freiheit und Würde‘ DOST.

Am 26. März ist in Bulgarien Wahlsonntag – DPS und DOST fischen dabei im selben Wählersegment. Mit ihnen bewerben sich 19 weitere Parteien und Parteienkoalitionen um Mandate im Parlament. Auch die Auslandsbulgaren dürfen wählen. Alle Parteien hätten versucht, die bulgarische Minderheit in der Türkei zu umwerben – so erzählt man mir. Bulgarische Wahlveranstaltungen auf türkischem Territorium wurden aber von türkischer Seite untersagt.

Am Rande erwähnt sei, dass fast zeitgleich türkische Politiker in der EU bei den Auslandstürken für das Referendum werben wollten, das für 16. April in der Türkei geplante ist. Im Februar fand eine Wahlveranstaltung in der Nähe von Düsseldorf in Deutschland statt, die zu Gegendemonstrationen und Kontroversen führte. In Folge untersagten einige EU-Staaten weitere solcher Veranstaltungen auf ihren Territorien. Der türkische Ministerpräsident Erdoğan droht den europäischen Staaten mit Vergeltung.

Die bulgarischen Behörden werfen der türkischen Regierung vor, sich offen für DOST einzusetzen und damit Einfluss auf die Wahl in Bulgarien zu nehmen.

Im Schatten der anderen

Die Niederlande hat gewählt – Europa hat den Atem angehalten. Die Wahlen in Frankreich, Deutschland und Tschechien stehen ins Haus – Europa sieht ihnen mit Bangen entgegen. Im Schatten dieser vier wird heute in Bulgarien gewählt. Wie in vielen Ländern kandidieren auch hier national-populistische Kräfte - in Bulgarien auch als Gegenkraft zu den Minderheiten-Parteien. Die türkische Community wird ihre Stimmen voraussichtlich auf zwei Parteien splitten, womit unter Umständen sogar beide die Hürde ins Parlament verfehlen könnten. Die Stimmen der türkischstämmigen Bulgaren, wie der bulgarischen Türken könnten letztlich das Züngelchen an der Waage sein für das Gesicht des künftigen Parlaments.